Begründung für die Verleihung des Internationalen Alexander-Langer-Preises 2024
Der Alexander-Langer-Preis 2024 wird an die Zusammenarbeit zwischen zwei Freiwilligenorganisationen, einer palästinensischen und einer israelischen, verliehen. Youth Of Sumud (‘Jugend der Standhaftigkeit’) beteiligt sich am gewaltfreien palästinensischen Widerstand in den südlichen Hebron-Hügeln im Westjordanland, während Ta’ayush (‘Zusammenleben’) Ausdruck der israelischen Zivilgesellschaft ist, die sich für ein friedliches Zusammenleben zwischen Palästinensern und Israelis einsetzt.
Der gemeinsame Preis soll die Bedeutung der Zusammenarbeit und des Dialogs anerkennen, der die beiden Organisationen im speziellen Kontext des Westjordanlands auszeichnet. Am 19. Juli 2024 hat der Internationale Gerichtshof ein Gutachten zu den juristischen Konsequenzen aus den Richtlinien und Praktiken Israels im besetzten Westjordanland, Ostjerusalem und Gazastreifen veröffentlicht. Die israelischen Besatzungspolitiken verursachen laut Gerichtshof unermessliches Leid für die palästinensische Bevölkerung durch Praktiken, die vom Gerichtshof als systematische Segregation und Diskriminierung eingestuft werden. Die Siedlungspolitik verstößt gegen das Völkerrecht, da sie darauf abzielt, die lokale Bevölkerung aus dem Gebiet zu verdrängen.
In diesem äußerst komplexen Kontext engagieren sich die ausgezeichneten Organisationen. Youth of Sumud trägt in ihrem Namen das Zeugnis eines jahrzehntelangen Konflikts, der von Generation zu Generation einen steten Einsatz abverlangt. So ist einer der Gründer der Bewegung, Sami H. Huraini, der Sohn von Hafez Huraini, der wiederum einer der Gründer und Aktivisten des „Komitees für gewaltfreien Widerstand“ in den südlichen Hebron-Hügeln ist. Diese Bewegung besteht hauptsächlich aus palästinensischen Bauern und Hirten, die sich bereits Ende der 1990er Jahre für eine durchgehend gewaltfreie Widerstandsform entschieden haben. Youth of Sumud ist eine Jugendorganisation, die aus dieser Erfahrung hervorgegangen ist und deren Ziele und Vorgehensweisen übernommen hat, darunter eine starke Offenheit nach außen durch die Anwesenheit internationaler Beobachter pflegt und die Zusammenarbeit mit der israelischen Zivilgesellschaft sucht, von der Ta’ayush ein Beispiel ist.
Guy Butavia, Leader der Bewegung Ta’ayush und langjähriger israelischer Menschenrechtsaktivist, verbrachte nach dem 7. Oktober 2023 aufgrund von Morddrohungen seitens seiner Mitbürger ob seines Engagements für den Dialog mit den Palästinensern und des gewaltlosen zivilen Ungehorsams, mehrere Monate in Italien und anderen europäischen Ländern. Die Aktivisten von Ta’ayush sind weiterhin vor Ort im Einsatz, obwohl sie oft Einschüchterungen, Gewalt und Verhaftungen ausgesetzt sind.
Youth of Sumud und Ta’ayush führen täglich gewaltfreie Schutzaktionen durch, meist auf Anruf der bedrohten Zivilbevölkerung. Sie unterstützen Hirten und Bauern beim Schutz ihrer Felder und Herden und begleiten Schüler, um ihnen einen sicheren Schulweg zu garantieren, trotz der oftmals bewaffneten Bedrohung durch israelische Siedler. Ihre physische Präsenz wirkt als Abschreckung gegen Gewalt in Formen von Schlägen, Zerstörung von Besitztümern, Bränden, Vergiftungen von Feldern und Brunnen sowie Viehdiebstählen.
Die beiden Organisationen leisten zudem wichtige Dokumentationsarbeit von Foto- und Videoaufnahmen von Missbräuchen, die die palästinensische Bevölkerung immer wieder erleidet. Die systematische Sammlung und Dokumentation von Zeugenaussagen ermöglicht es, die Situation der Dörfer und der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland den israelischen Behörden zu melden. Diese Meldungen werden jedoch oft nur formal vom Staat Israel anerkannt und bleiben ohne konkrete Konsequenzen. Die Initiativen der Aktivisten ermöglichen es der palästinensischen Gemeinschaft in einigen Fällen, in ihren Häusern zu bleiben oder zurückzukehren: Ein Beispiel ist Sarura, ein Dorf, das aufgrund der Gewalt durch Siedler zerstört und verlassen wurde, aber nun wieder bewohnt ist, seitdem es durch Youth of Sumud wieder aufgebaut wurde.
Die Wahl der aktiven Gewaltfreiheit und der Rückgriff auf kreative Praktiken des Widerstands, die oft Frauen und Kinder in den Mittelpunkt stellen, zielen darauf ab, Vorwände für den Einsatz von Gewalt zu vermeiden und machen das gemeinsame Handeln von Youth of Sumud – ‘Standhaftigkeit’ – und Ta’ayush – ‘Zusammenleben’ – zu einer Realität, die bezeugt, dass es möglich ist, sich der fortwährenden Förderung von Hass und Spaltung zu widersetzen. Während es naheliegender wäre, Mauern und Barrieren zu errichten, beweisen die Palästinenser von Youth of Sumud und die Israelis von Ta’ayush, dass sie in der Lage sind, die Grenzen der „ethnischen Geschlossenheit“ zu überwinden. Diese Zusammenarbeit stellt eine einzigartige Umsetzung des Versuchs der „Zehn Punkte für das interethnische Zusammenleben“ von Alexander Langer dar.
Die Alexander Langer Stiftung erkannte am 15. Juli 2024 in Youth of Sumuds und Ta’ayushs Arbeit, mutige Entscheidungen der Unabhängigkeit des Denkens und eine starke soziale Verwurzelung. Durch ihr Werk und ihr unermüdliches gewaltfreies Handeln bezeugen die beiden Organisationen ihren Einsatz zugunsten der Förderung der Menschenrechte, der Friedenspolitik, der Demokratie und des Zusammenlebens, sowie gegen Diskriminierung und ethnischen Ausschluss.