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Yolande Mukagasana: "La mort ne veut pas de moi"

1.7.1998, alexander langer stiftung
Und jetzt, nach einer gewissen Zeit, wie erklären Sie sich diesen Ausbruch von kollektivem Wahnsinn?

Seit ich erwachsen bin, konnte ich beobachten, wie der Haß systematisch geschürt wurde.
In der Schule machten sie das Hutu-Kind glauben, daß es mehr wert sei als ein Tutsi-Kind. Für uns war es in der Schule nicht genug, gute Noten zu kriegen, um weiterzumachen; wenn sie uns auch unsere Rechte gaben, kam es uns wie ein Privileg vor. Als wir die Geschichte Rwandas durchnahmen, hieß es, daß die Tutsi in Rwanda Tierzüchter waren, aber von den Tutsi Tierzüchtern gab es nicht viele, es brauchte zehn Kühe, um Tutsi heißen zu dürfen, es brauchte weniger, um Hutu zu heißen. Sie sagten uns: „Die Tutsi sind aus Abessinien gekommen“ und die Hutu erinnere ich mich nicht mehr von wo; man erzählte sich, daß die Tutsi als Letzte ins Gebiet von Rwanda gekommen sind. Sie lehrten uns zu trennen und zu unterscheiden. Alle Kinder wollten mein Haar berühren, weil sie sehen wollten, wie das Haar der Tutsi ist. Während der Pause kreisten uns die Kinder ein und wir gingen weinend zurück in die Klasse. Ich habe immer Schwierigkeiten gehabt. Zum Glück hat mir mein Vater immer wieder Mut gemacht, sonst hätte ich die Schule nicht bis zum Ende ertragen. Es gibt Kinder, die vor lauter Angst die Schule aufgegeben haben.
Gleichzeitig ist es aber auch wahr, daß man sagte, die Tutsi sind schöner, intelligenter, zum Regieren geschaffen und daß die Hutu Bauern waren, zur Unterwürfigkeit geschaffen. Mit all dem hat man schreckliche psychologische Voraussetzungen geschaffen und gegenseitige Minderwertigkeitskomplexe und Überheblichkeiten geschürt.
Und vor allem gab es da noch dieses System des Identitätsausweises, wodurch man immer wußte, wer ein Hutu und wer ein Tutsi war.
Wir wurden vergiftet von der separatistischen Ideologie und wir Tutsi sind einwilligende Opfer geworden, wenn man so sagen darf, weil wir wußten, daß wir Ausgegrenzte und ohne Rechte waren.
Dazu ist noch zu sagen, daß die Armut im Lande Wasser auf die Mühlen der Genozid-Propaganda trug. Ins kollektive Bewußtsein wurden die Slogans des Radiosenders der tausend Hügel gehämmert: „Hutu, vereinigt euch, die Tutsi haben euch beraubt“, „Die Tutsi haben euch arm gemacht“, „Tötet die Tutsi und es wird euch besser gehen“, „Ihr bekommt deren Besitz“. Neid und Eifersucht haben dem Genozid freien Lauf gegeben. All dies war den Politikern nur recht: einmal, weil es politische Parteien gab, die sich erst kurz vorher gebildet hatten, und für den Präsidenten, der dann am 6. getötet wurde, war es eine Möglichkeit, die Parteien zu manipulieren, um sie an sich zu binden und zu verhindern, daß sich eine Opposition bilden konnte. Das Tutsi-Problem war ihm eine Hilfe, seine Macht zu halten und zu stärken. Und in der Tat haben ihm alle Parteien zugestimmt; alle waren mit dem Genozid einverstanden, aber die wahre Partei, die alles geplant hatte, war die Partei des extremistischen Präsidenten. Er war es, der die anderen überzeugt hat.
Zum Schluß haben sie unsere Nachbarn bewaffnet. Und wir mußten zuschauen und wußten, daß dies unsertwegen geschah, aber es gab keine Lösung, haben wir immer gedacht. „Sie werden es nicht wagen, die internationale Gemeinschaft würde uns sofort zur Hilfe eilen“. Wir haben den Blauhelmen die Waffenverstecke gezeigt, aber die Verstecke wurden nicht aufgehoben. Der Sicherheitsrat sagte, daß man gegen diese Waffen nichts unternehmen dürfe...

Sie haben gesagt, um Gerechtigkeit zu schaffen „müssen wir eine gemeinsame Vision haben“. Was genau haben Sie damit gemeint?

Es braucht sie wirklich: „eine Vision“. Der Genozid in Rwanda gleicht allen anderen Massenmorden, die geschehen sind, aber ist doch wieder anders, weil hier der Nachbar seinen eigenen Nachbarn getötet hat. Anderswo war es ein Volk, das ein anderes Volk umbrachte, bei uns hat die Bevölkerung einen Teil von sich selbst zerstört. Man muß sich bewußt sein, daß bei uns jene Menschen, die ihren eigenen Bruder oder Schwager umgebracht haben, unsere Leute waren: wir sprachen die gleiche Sprache, wir hatten dieselbe Religion, die gleichen Traditionen, dieselbe Kultur, wir haben zusammengelebt.
Ich meine, daß unser Fall ganz speziell und noch sehr lange zu untersuchen ist. Ich würde sagen, wenn zum Beispiel die Flamen anfangen würden, die Wallonen umzubringen, dann würde doch keiner sagen, man soll gegen sie gerichtlich vorgehen, gleich wie bei den Deutschen. Man muß einen Weg einschlagen, der dem Problem gerecht wird, auch wenn es schwierig ist.
Es gibt Hutu, die nicht gemordet haben, es gibt Hutu, die Tutsi versteckt haben. Aber es gibt auch Hutu, die einen Tutsi versteckt, aber viele andere umgebracht haben. Auch das macht es so schwer, eine Lösung zu finden. In Rwanda hört man auch: „Der hat mich gerettet“, und andere wiederum sagen: „Aber der war es gerade, der meinen Vater, meine Mutter umgebracht hat ...“

Wie kann innerhalb der eigenen Familie Gerechtigkeit hergestellt werden? Sehen Sie einen Weg, wie man diese diskriminierende Situation vermeiden könnte?
Zuallererst müßte man zugeben, daß es einen Genozid gegeben hat. Dies ist die Voraussetzung für jeden weiteren Schritt. Die internationale Gemeinschaft, die auf die überfüllten Gefängnisse hinweißt, hat zwar recht, muß aber auch einsehen, daß die Gefängnisse überfüllt sind, weil es einen Genozid gab. Die Lebensbedingungen dieser Gefangenen sind dramatisch? Es gibt Kranke unter den Gefangenen? Auch Unschuldige? Alles richtig, aber ich sage, Rwanda tut, was es kann, und statt zu kritisieren, sollte man sich fragen, welche Lösungsvorschläge könnt ihr uns anbieten, um zu helfen, unsere Probleme zu lösen. Auch die Art, wie man sich an jemanden wendet, ist wichtig. Mit Gewalt werden keine Probleme gelöst, vor allem, wenn man weiß, daß dieselbe internationale Gemeinschaft, die heute die Stimme erhebt gegen die Regierung von Rwanda, damals, als der Genozid geschah, nicht aufgeschrien hat, um ihn zu stoppen.
Alle, angefangen bei der katholischen Kirche, bitten um Vergebung, aber Vergeben ist nicht so einfach, wie einem Kind etwas Süßes zu schenken. Es gibt nur einen Weg, der zur Vergebung und Versöhnung führt: die Gerechtigkeit. Das heißt, daß die Unschuldigen wissen müssen, wer die Mörder sind, sonst herrscht weiter die Verwirrung: heute leben in Rwanda Verbrecher und Überlebende Seite an Seite und keiner der beiden kann beruhigt sein, weil der Verbrecher sich dauernd fragen muß: „Wird er mich anzeigen“ und der Überlebende denkt: „Es gefällt ihm nicht, daß ich noch lebe, er wird mich umbringen“. Ohne Gerechtigkeit wird sich die Lage nicht bessern. Wenn hingegen gerichtet wird, dann wird sich der Verbrecher sagen: „Ja, ich habe ein Verbrechen begangen, aber ich habe meine Strafe verbüßt“,
der Überlebende wird beruhigt sein, weil der Schuldige bestraft wurde. Dann kann eine Wiederversöhnung möglich werden.
Aber wer uns getrennt hat, will nicht, daß wir uns wieder versöhnen, das ist das Problem.

Sie sagen, es muß unbedingt die Wahrheit gesagt werden. Gibt es jemand, der das tut?

Ich kenne nur den früheren Interim-Premierminister Jean Kambanda, dessen Regierung sich am 9. April 1994 zu Beginn des Genozids gebildet hat. Er hat sich als schuldig erklärt. Die Schuld von Kambanda ist im wesentlichen, daß er tatsächlich der Bevölkerung Waffen geliefert hat und in Burare einen neuen Präfekten ernannt hat, weil der alte Präfekt nicht am Genozid beteiligt sein wollte. Der Vater dieses Präfekten war ein Tutsi und dessen Mutter eine Hutu und auch seine Frau hatte „gemischte“ Eltern. Er wollte den Genozid nicht und wurde ermordet. Der von Jean Kambanda ernannte Präfekt hat mit „der Arbeit“ begonnen. Nachdem Kambanda seine Schuld zugegeben hat, habe ich ihm einen freundlichen Brief geschrieben, um ihm dafür zu danken, daß wenigstens er Reue gezeigt hat für das, was geschehen ist, und sich nicht mehr getraut zu sagen „ich hab nichts getan“. Ich hab auch dem Generalstaatsanwalt des Internationalen Gerichts in Arusha geschrieben, damit dieser Mann geschützt wird, weil sie verhindern wollen, daß er spricht.

Die Menschen, von denen Sie in Ihrem Buch schreiben, wo sind sie jetzt? Was tun sie?

Emmanuelle arbeitet, es geht ihr gut, sie ist in Kigali. Auch ihrer Schwester, die Polizistin, die mich von der Pfarrgemeinde abgeholt hat und einen Überfall vorgetäuscht hat, geht es gut.
Die Mörder, von denen ich spreche, die gehn alle in Kigali in der Stadt spazieren. Alle.
Der Priester mit dem Revolver, Stefano, ist in Frankreich untergetaucht, er bekommt regelmäßig ein neues Versteck, für die Kirche ist er unschuldig, ich aber habe eine schriftliche Zeugenaussage über die Dinge, die er gemacht hat und ich hab ihn auch gesehen, es gibt viele Zeugen, die dabei waren, bei all dem, was er getan hat. Mein Lieblingssänger ist im Gefängnis .. er sang und sang gut, ich hab ein paar Aufzeichnungen, er hat mir gut gefallen, aber er war am Genozid beteiligt... er hat getötet, ich weiß nicht, ob mit eigenen Händen. Der Radiosprecher wurde anscheinend auch eingesperrt, in Arusha, aber ich bin nicht sicher.

Und was ist jetzt?
Hier in Belgien ist mein Diplom nicht gültig. Ich müßte nocheinmal weiterstudieren. Aber eines Tages werde ich meine Krankenstation wieder aufmachen, in Belgien oder anderswo.
Manchmal fehlt mir mein Land. Ich möchte zum Massengrab gehen, um bei meinen Kindern zu sein. Und ich möchte dahin gehen, wo sie meinen Mann gebracht haben. Mein Traum ist, daß wir eines Tages uns alle nur noch als ein einziges Volk von Rwanda bezeichnen können, und ich werde dann glücklich sein, wenn ich endlich als Afrikanerin von den großen Seen oder besser noch, als Afrikanerin, und letztendlich als ein allen Menschen gleichgestelltes menschliches Wesen identifiziert werde. Dann werden wir alle frei sein.
Mein Mann war schon mit 13 Jahren ein Vollwaise. Dreißig Jahre später ist er auf die gleiche Weise gestorben, wie damals seine ganze Familie vor seinen Augen umgebracht wurde: so, als ob er von Geburt an schuldig wäre; schuldig, der zu sein, der er war. Wie ist so etwas zu ertragen?


Yolande Mukagasana im Gespräch mit Bettina Foa, Graziella Galvani, Peter Kammerer - aus „UNA CITTÀ“, Nr. 69, Juni 1998


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