Migration Migration

Monitoring der Situation der MigrantInnen in Bozen und am Brenner. Kurzfassung.

25.9.2017, Das Bericht in Anhang

Der Bericht entstand in Zusammenarbeit von Antenne Migranti und ASGI (Associazione per gli Studi sull’Immigrazione / Vereinigung für Juristische Studien zur Immigration) und analysiert zum einen die aktuelle Situation der MigrantInnen, die nach Bozen kommen, um Antrag auf Internationalen Schutz zu stellen oder um die Brenner-Grenze zu überqueren, und zum anderen die Auswirkungen der Grenzschließung auf die Region.

Antenne Migranti ist ein Projekt, das mit Unterstützung der Alexander Langer Stiftung und ein Beitrag der Open Society Foundation, die Beobachtung und Dokumentation der Situation der MigrantInnen auf den Bahnhöfen und in den Städten entlang der Strecke Verona – Brenner zum Ziel hat.

Die Zusammenarbeit mit ASGI umfasst die Bereiche Rechtsberatungen, Übernahmen von Rechtsvertretungen sowie gemeinsame Fortbildungen. Die Tätigkeit von Mitgliedern der Vereinigung ASGI an anderen italienischen Grenzen erlaubt zudem den Vergleich der jeweiligen Praktiken von Polizeikräften und Institutionen an den unterschiedlichen Grenzorten sowie der jeweiligen Situation vor Ort.

Der erste Teil des Berichts ist das Ergebnis direkter Beobachtung, die von den Freiwilligen des Projekts Antenne Migranti von Januar bis Juni am Bahnhof Brenner sowie an für die MigrantInnen wesentlichen Orten in Bozen durchgeführt wurde.

Auf Basis des Monitorings konnten einige Problematiken ermittelt werden, die sich auf Praktiken verschiedener Institutionen beziehen, auf den Zugang zur Aufnahme sowie auf die Aufnahmebedingungen selbst; Problematiken, die zwar bereits seit geraumer Zeit beobachtet werden können, mittlerweile aber zu strukturellen Problemen geworden sind.

Der Bericht geht auch auf die Kontrollen ein, die am Bahnhof Brenner durchgeführt werden, sowie auf Aktionen der österreichischen Polizei, sprich auf Rückübernahmen, Zurückweisungen, Strafen und in einigen Fällen Beschlagnahmungen von persönlichen Gegenständen.

Den Erhebungen zufolge erreichten bis Juli 2017 täglich durchschnittlich zwischen 10 und 20 MigrantInnen den Brenner. Die Polizeikräfte führen bei Menschen mit nicht europäischen Gesichtszügen Waggon für Waggon systematische Kontrollen durch (racial profiling). Personen, die im Besitz einer wie auch immer gearteten Aufenthaltsgenehmigung, aber ohne gültiges Ausreisedokument sind, werden zum Aussteigen sowie zum Besteigen eines Zugs Richtung Süden aufgefordert; wer ohne jegliches Dokument bzw. ohne Aufenthaltsgenehmigung ist, wird aufgegriffen und ins Polizeikommissariat begleitet, um identifiziert und erkennungsdienstlich erfasst zu werden. Dem folgt die Aufforderung, bei der Quästur in Bozen zwecks Regelung ihres persönlichen Rechtsstatus vorstellig zu werden. Seit Ende Februar werden die Kontrollen auch auf den Regionalzügen durchgeführt, die von Österreich zum Brenner fahren, wobei nach Schnellverfahren die unverzügliche Rücküberweisung nach Österreich erfolgt.

Ein Teil der am Brenner angehaltenen MigrantInnen kommt nach Bozen, wo weitere Blockaden auf sie warten und wo sie festsitzen (stranded). Die juristischen Profile der MigrantInnen, die an der Grenze angehalten werden und in Bozen stranden, sind sehr unterschiedlich: es handelt sich um Personen, die Antrag auf Internationalen Schutz gestellt haben, Personen mit Aufenthaltsgenehmigung, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, besonders schutzbedürftige Personen.

Als besonders problematisch erweist sich der Zugang zur Aufnahme sowie die Lage der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (MSNA/UMF). Sie treffen auf Probleme sowohl bei den für ihre Übernahme zuständigen Institutionen – unklare Praktiken bei der Identifikation, mündliche Aufforderungen, sich an die italienischen Aufnahmeorte zurückzubegeben, denen keinerlei weitere praktische Hilfestellungen folgen – als auch bei der Unterbringung an einem sicheren Ort. Ein Teil der Minderjährigen wird in Einrichtungen für Erwachsene untergebracht; dort sind sie zwar getrennt untergebracht, jedoch stehen keinerlei spezifische Dienstleistungen und Hilfestellungen für sie zur Verfügung. Ein Großteil der Jugendlichen findet allerdings aufgrund des Platzmangels in den Einrichtungen keine Unterkunft und muss daher auf der Straße bleiben. Viele Minderjährige bleiben für die Institutionen zudem unsichtbar, da sie sich zwar auf dem Territorium befinden, sich aber wegen der erkennungsdienstlichen Erfassung nicht auf die Quästur begeben.

In derselben Lage befinden sich die Personen, die Antrag auf Internationalen Schutz gestellt haben und autonom nach Südtirol gekommen sind: auch sie sind von der Aufnahme und von den an die Aufnahme gebundenen Diensten ausgeschlossen. Oft kommen sie, die oft als „fuori quota“, also als „die außerhalb der zugewiesenen Quote“ bezeichnet werden, aus Nordeuropa ins Land. Somit halten sich in der Provinz, zusätzlich zu den 1650 Personen, die Antrag auf Internationalen Schutz gestellt, Südtirol gemäß dem System der „ministeriellen Quoten“ zugewiesen und in den so genannten Centri di accoglienza straniera (CAS) aufgenommen wurden (diese Anzahl entspricht 2% der staatlich aufgenommenen MigrantInnen) auch AsylbewerberInnen auf, die autonom über die Balkanroute oder von anderen Ländern Nordeuropas hierhergekommen sind. Ungefähr 160 davon sind erwachsene Männer, die keinen Zugang zu irgendeiner Form von Aufnahme haben und zur Überprüfung ihrer jeweiligen Situation in eine „Warteliste“ aufgenommen wurden. Circa 90 Personen sind Familien, die um Asyl angesucht und vorübergehend Aufnahme in Gasthöfen oder Hotels gefunden haben. Doch auch hier gibt es eine Reihe anhaltender Problematiken.

Die aufgezeigten Daten sind das Abbild einer fluktuierenden Situation, deren Problematiken mittlerweile allerdings strukturelle Formen angenommen hat.

Der Bericht geht in Kürze auch auf die Situation in den 4 Aufnahmeeinrichtungen in Bozen ein (Ex Lemayr, Ex Alimarket, Haus Aaron, Gorio), wo circa 700 Personen untergebracht sind. Im Gegensatz zu den Leitlinien der Provinz, die die Errichtung von kleinen bis mittleren Unterkünften unterstützt, ist die Lage in Bozen durch die Präsenz von Einrichtungen mit vielen BewohnerInnen gekennzeichnet.

Im Rahmen von Beobachtungen, die auch auf Interviews mit MitarbeiterInnen und BewohnerInnen der Einrichtungen basieren, konnten folgende Probleme ermittelt werden: Überbelegung, in einigen Fällen Vermischung sowohl nach Geschlecht als auch nach Alter, Unzulänglichkeit der Dienste, Schwierigkeiten für die MitarbeiterInnen der Zentren. Sinnbildlich für all diese Unzulänglichkeiten sei das Ex Alimarket genannt, wo im Mai 220 Personen lediglich 20 Duschen und eine Waschmaschine zur Verfügung standen! In der Zwischenzeit ist die Zahl der aufgenommenen Personen im Ex Alimarket auf die Spitze von 400 (Juli) angewachsen; zur Zeit befinden sich dort ca. 340 Personen, da mittlerweile mit der Verlegung in andere Unterkünfte in der Provinz begonnen wurde. Inzwischen hat sich auch die Situation der zur Verfügung gestellten Sanitäranlagen verbessert.

Der zweite Teil des Berichts, der von der Vereinigung ASGI (Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione / Vereinigung für Juristische Studien zur Immigration) verfasst wurde, stellt eine juristische Analyse der Gesetzesübertretungen dar, die während des Monitorings festgestellt wurden.

Wesentliche Gesetzesübertretungen wurden in folgenden Bereichen festgestellt:

Der Rückgang der Ankünfte in Süditalien in den letzten beiden Monaten wirkt sich auf die Anzahl der Personen aus, die um Asyl ansuchen und vom Ministerium quotengemäß zugewiesen werden. So wurden seit August Südtirol keine weiteren Personen zugewiesen. Zum anderen aber hat der Rückgang der Ankünfte in Süditalien bisher keine großen Auswirkungen auf die Bewegungen jener Personen, die erfolglos versuchen, die Grenze zu überqueren und anschließend in Bozen festsitzen. Die MigrantInnen, die auf ihrem Weg zum Brenner durch die Landeshauptstadt kommen, sind nicht mehr nur Personen, die eben erst in Italien angekommen sind und in anderen europäischen Ländern den Asylantrag stellen wollen, weil sie dort z.B. über ein Solidaritätsnetz verfügen, das sie beim Prozess der Integration unterstützen.

Vor allem kommen nach Südtirol weiterhin konstant unbegleitete minderjährige Flüchtlingen, die erst seit kurzem in Italien sind, sowie AsylbewerberInnen, die sich bereits seit langem in Italien aufhalten. Dabei handelt es sich sowohl um AsylbewerberInnen, die sich von anderen Aufnahmeeinrichtungen aufgemacht haben und deren Asylverfahren noch im Gang ist, als auch um Personen, denen bereits eine Form von Internationalem Schutz anerkannt wurde und die versuchen, ein anderes europäisches Land zu erreichen – aufgrund der Lebensbedingungen in Italien und des fehlenden Integrationsprozesses, beides Folgen eines nicht funktionierenden italienischen Aufnahmesystems, das auf Vorläufigkeit und nicht auf Inklusion ausgerichtet ist.

Noch dazu: http://www.alexanderlanger.org/it/948

 

Antenne Migranti: antennemigranti@gmail.com

Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione ASGI: info@asgi.it

Fondazione Alexander Langer Stiftung, Onlus: info@alexanderlanger.net


Report3Monitoraggio20170925.pdf (6,2 MB)
pro dialog