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Barabara Duden- Olivia Fiorelli „Wie verändern die Biotechnologien die Körper - und Selbstwahrnehmung von Frauen?“ 5.Juli 2013

24.7.2013, Ingrid Windisch

Im Rahmen der Veranstaltung EUROMEDITERRANEA 2013 „I Care. Die Kunst der Pflege“ und der Verleihnug des Alexander Langer Preises 2013 an die Organisation „Donatori di musica“ fand im Frauenarchiv ein Vertiefungsseminar mit Barbara Duden und Olivia Fiorilli zu folgendem Thema statt:

 „Wie verändern die Biotechnologien die Körper -  und Selbstwahrnehmung von Frauen?“

 Organisiert wurde dieses Seminar von Marcella Pirrone, die auch die Beiträge beider Referenntinnen sowohl vom Deutschen ins Italienische wie auch umgekehrt brilliant konsekutiv übersetzte.

Die notwendigen inhaltlichen Vorbereitungen auf das Seminar sowie die Moderation übernahmen Melitta Pittschl und Ingrid Windisch.

 

Nach der Begrüßung durch Ingrid Facchinelli und Serena Rauzi (Frauenarchiv und Alexander Langer Stiftung) stellte Ingrid Windisch die beiden Referentinnen kurz vor.

 

Den ersten Kurzvortrag hielt Barbara Duden.

Zuerst richtete die Historikerin einen Blick zurück auf die Frauenbewegung der 1970er Jahre. Sie erzählte von den damaligen Forderungen: Selbstbestimmung, Autonomie und freie Wahl der reproduktiven Möglichkeiten. Mit Slogans wie „Ob Kinder oder keine, entscheide ich alleine!“ oder „Mein Bauch gehört mir!“ forderten feministische Aktivistinnen damals uneingeschränkte Freiheit in Bezug auf Fragen, die den eigenen Körper und die eigene Sexualität betreffen. In Selbstuntersuchungsgruppen und mit Hilfe von medizinischen Graphiken eigneten Frauen sich Wissen an, das sie von der Bevormundung und Unterdrückung machtbesessener Gynäkologen unabhängig machen sollte. Diese Forderungen waren global und bildeten eine Front gegen das herrschende Medizinsystem.

Der 1971 erschienen Klassiker „Our Bodies, Our Selves“, den das Bostoner Frauen-Gesungheitskollektiv herausgab,  wurde millionenfach aufgelegt und in -zig Sprachen übersetzt. Die Inhalte des Buches erreichten zahllose Frauen auf der ganzen Welt.

Dann schlug Barbara Duden einen Bogen von der unterworfenen Patientin zur heutigen „informierten Klientin“, die in einem nun völlig anderen, neuen Gesundheitssystem von einem Expertenteam beraten wird und dann zu einer selbstbestimmten, informierten Entscheidung kommen muss, für die sie selbst die Verantwortung trägt. Die Forderung von damals ist zu einer selbstverständlichen Anforderung geworden, die Frauen zwingt, sich informieren und beraten zu lassen und selbst zu entscheiden, was sie als mündige „Konsumentinnen von Gesundheitsprodukten“ wollen. Dass das keine freie Wahl, sondern eine neue Form von Fremdbestimmung ist, bestätigen viele Beispiele, die Duden vorträgt. Sie zeigt auf, wie die Einführung des „Risikos“, das sich nicht auf eine individuelle Person bezieht, sondern statistischen Berechnungen, die sich auf eine Population beziehen, entnommen wird, zu Verwirrung und Verunsicherung führt. Mehr noch: das Risikodenken führt zu Lähmung und Schwächung des somatischen Selbstvertrauens. Selbst wenn eine sich weigert, Vorkehrungen zu treffen und auf sich zukommen lässt, was an Krankheiten oder Einschränkungen auf eine zukommen mag, wird ihr die Verantwortung dafür angelastet, weil zu Beginn ja die zwangsläufige Entscheidung stand, z. B. keine präventiven Maßnahmen zu ergreifen. Was einer auch widerfährt, es ist Konsequenz ihrer Wahl.

 

Der zweiten Teil der Veranstaltung begann nach einer kurzen Pause mit dem Vortrag von Olivia Fiorilli. Fiorilli gehört zu einem Kollektiv römischer Feministinnen, das sich mit Biomedizin auseinandergesetzt hat. Fiorilli ging auf die normative Funktion von Sprache ein, in diesem Fall der medizinischen Fachsprache, die den Körper konstruiert und wie eine Landkarte herstellt, und keine Freiräume für individuelle Interpretationen und schon gar nicht für eine eigene Wahrnehmung lässt. Sie zeigte auf, wie der weibliche Körper nicht in seinen vielfältigen Möglichkeiten gedacht werde, sondern in das Schema der heterosexuellen Reproduktionsfähigkeit gepresst wird.

Am Beispiel des Gesetzes 40/2004, das die Normen der medizinisch assistierten künstlichen Befruchtung regelt, und der politischen Folgediskussionen zu diesem Gesetz zeigte Fiorilli, wie die Vorstellungen von weiblich hergestellt und zementiert werden.

Fiorilli stellte die Frage nach einem möglichst offenen Zugang zu Körpererfahrungen, die Unterschiede zulassen, bzw. Frauen ermutigen darüber zu sprechen. Wie ist die Wahrnehmung von Frauen, die eine Prothese tragen, von Gehörlosen, von Menschen, die keine Sexualität leben, von Frauen, die einen Dildo verwenden, von Lesben, von heterosexuell lebenden Frauen?

 

Fiorilli beendete ihren Vortrag mit Fragen: Wie gelingt eine Kritik die uns nicht festnagelt? Die nicht vorschreibt, ob unsere Körper biomedizintechnisch kontaminiert sind oder nicht, ob wir authentisch wahrnehmen oder eben nicht authentisch. Eine  Kritik, die uns nicht zwingt technikfeindlich zu sein, aber auch nicht uneingeschränkt biotechnologiefreundlich. Welche sind unsere Ängste und Befürchtungen diesbezüglich?

 

 

Medizinkritik aus feministischer Perspektive und die Suche nach möglichen Auswegen verband die beiden Referenntinnen und gemeinsam ist es ihnen meines Erachtens gelungen, einen profunden und konzentrierten Denkraum aufzubauen, in dem ich als Zuhörerin stehen kann. Und während Fiorilli eine möglichst große Bandbreite an Kategorien vorstellte, die es erleichtern sollen, sich gegen dualistische Schemata zur Wehr zu setzen, geht Duden einen Schritt weiter, indem sie sagt: „Ich möchte nicht als Repräsentanz einer Kategorie denken!“

 

Die Kompexität des Denkens der beiden Frauen aufzunehmen ist kein leichtes Unterfangen und es geht nicht ohne Vereinfachungen. Eine Möglichkeit, sich weiter und in vertiefter Form damit zu beschäftigen, bietet die Lektüre von Publikationen der beiden Referentinnen. Für mich war es ein anregender und interessanter Vormittag, der mich mit ermutigenden Botschaften begleitete:

Nicht aufhören, nachzudenken!

Gegen medizintechnische Unsinnigkeiten protestieren, immer wieder und überall!

Distanz zu entmündigenden und schwächenden Prozeduren schaffen und wahren.

 

 

Ingrid Windisch, Bozen am 06.07.2013

 

pro dialog