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Erinnerung del Präsidentin des Landtages Sabina Kasslater-Mur

5.7.1995, Landtag
Werte Abgeordnete! In mehrheitlichem Einvernehmen mit den Fraktionsvorsitzenden habe ich die gestrige Landtagssitzung aus Betroffenheit unterbrochen; aus Betroffenheit und Erschütterung über den plötzlichen Tod Alexander Langers, von dem wir gestern am frühen Nachmittag erfahren haben.

Viele von Ihnen haben mit Alexander Langer in diesem Landtag zusammengearbeitet.

Er hat für insgesamt 8 ½ Jahre hier autonome lokale Listen vertreten: Erstmals zog er 1978 für die Neue Linke in den Südtiroler Landtag ein und gab zur Halbzeit der Legislatur 1981 sein Mandat an Luigi Costalbano weiter, und zwar wie er damals selbst geschrieben hat, ungeachtet der Einsicht, damit einen politischen Fehler zu begehen, aber in Treue zum gegebenen Wort.

1983 wurde er fürs Andere Südtirol und 1988 für die Alternative Liste wieder in den Landtag gewählt.

Am 24. Juli 1989 hat er sein Landtagsmandat zurückgelegt, um im Europäischen Parlament die Grüne Liste zu vertreten.

Alexander Langer hat in diesen Jahren die Rolle der Opposition im Südtiroler Landtag neu und kreativ ausgestaltet, er hat der politischen Mehrheit öffentlichkeitswirksam auf die Finger geschaut und damit zur Verlebendigung dieses Hauses beigetragen. Alexander Langer ist es gelungen, die Aufmerksamkeit für den Südtiroler Landtag in der Bevölkerung zu steigern, er hat eine andere Politik der Beteiligung vorgelebt. Sein politisches Grundanliegen eines konstruktiven und toleranten Miteinander hatte viele Facetten, die von der Mehrheit nicht immer geteilt wurden. So hat er gestern vor genau fünf Jahren hier zum letzten Mal das Wort ergriffen, um zum Gesetzentwurf zur Chancengleichheit zwischen Mann und Frau zu sprechen.

Über die Bedeutung des Politikers Alexander Langer ist seit gestern viel gesagt und geschrieben worden. Deshalb will ich hier nicht wiederholen, was schon in Worte gefaßt ist. Seine letzte Botschaft vor wenigen Tagen hat den Titel "Europa stirbt in Sarajevo oder wird dort neu geboren" getragen. Deshalb hoffe ich im Sinne von Alexander Langer zu handeln, wenn ich seinem Engagement für den Frieden jenen Text widme, den Wolfgang Borchert 1946 geschrieben hat, im Geburtsjahr des Verstorbenen:

"DANN GIBT ES NUR EINS!

Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du, Forscher im Laboratorium. Wenn sie die morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Haßlieder singen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen Weizen mehr fahren - sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransporter, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins: Sagt NEIN!

Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:

dann:

In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen Schiffe stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und muschelüberwest, den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben -

die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blöde verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte und Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenen kratzerzerrissenen Straßen -

eine schlammgraue dickbreiige Stille wird sich heranwälzen, gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten und Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig, unaufhaltsam -

der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen verfaulen, der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken -

in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte sauer werden, verrotten, pilzig verschimmeln -

in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichern werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis und Kirschsaft verkommen - das Brot unter den umgestürzten Tischen und auf zersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wird stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten Pflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln - zerbröckeln - zerbröckeln -

dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend - und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch -

all dies wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn -- wenn--

wenn ihr nicht NEIN sagt."

Ich ersuche Sie, sich zum Zeichen der Trauer zu erheben.

(Gedenkminute - un minuto di silenzio)
pro dialog