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Öko-Konferenz in Rio de Janeiro

1.6.1992, aus FF 25/92

Was bleibt vom größten Umwelt-Spektakel der Geschichte? Den armen Ländern ein schlechtes Gewissen, den Industriestaaten die Rolle einer grünen Weltpolizei, der Stadt Rio das Geschäft eines Öko-Karnevals, den Eingeborenenstämmen fünf Minuten Redezeit.

Trotzdem - wenigstens ein kleines Stück Wiedergutmachung hat in Rio begonnen.

Fast müßte man als Grüner zu bocken beginnen. Die obersten Zehntausend haben nun der ganzen Welt mit grobem Pomp und Trara den Umweltschutz zur Staatsräson erklärt und einen weltweiten Kreuzzug zur Sanierung der maroden Natur ausgerufen. Denn an Taten und konkreten Verpflichtungen haben sie es weitgehend mangeln lassen, und selbst um das lumpige Kleingeld zur Finanzierung 1ängst übernommener Zusagen (beispielsweise 0,70% des Einkommens der Reichen als Ausgleich an die Armen) wird unsäglich gefeilscht, und am Schluß ist nicht einmal das Jahr 2000 als Zahltag akzeptiert. Über Atomkraft und Atommüll, Schutz der Ozeane und der Bergwildnis, der Antarktis und des landwirtschaftlichen Bodens durfte gar nicht erst geredet und verhandelt werden.

Und was ganz besonders auffällt: die Industriestaaten, die bisher die Natur weitaus am meisten ausgebeutet, verschmutzt und geplündert haben, wollen nun grüne Weltpolizei gegenüber der unterentwickelten Dritten Welt spielen: "lhr müßt weniger Kinder gebären, weniger Bäume abholzen und weniger Geld für unrentable soziale Ausgaben verschwenden, sonst wird es euch und der Umwelt nie besser gehen...... Nachdruck verleiht man solchen Mahnungen durch Weltbank und Internationalen Währungsfonds: zwei bedenkliche Folterschrauben, die man fast nach Belieben anziehen oder lockern kann, je nachdem, ob man Regierungen im Süden der Welt helfen oder sie in die Enge treiben will.

Die USA, größte Umweltverschmutzer und -verbraucher der Erde, haben sich vom Geist von Rio nicht soweit anstecken lassen, daß sie in den neuen allgemeinen grünen Weltkonsens eingemündet wären: im Wahljahr zog es Präsident Bush vor, die kurzfristigen nationalen Interessen und Arbeitsplätze der Nordamerikaner und ihrer Firmen bis aufs letzte zu verteidigen, so daß auch der US-Umweltschutz noch zum Druckmittel gegenüber dem Rest der Welt wird: einerseits Produktnormen, die manchem die Einfuhr in die USA erschweren, weil die Erzeugnisse nicht umweltfreundlich genug sind, andererseits die strikte Ablehnung, für übermäßigen Energieverbrauch und freien Zugang zur Artenvielfalt der Tropenländer irgendeine Ausgleichszahlung an die Ärmeren zu leisten.

So beginnt nun die "Ära-nach-Rio": der Erste und der Zweite Weltkrieg wurden mit Friedensverträgen beendet, die eine Neuordnung der politischen Landkarte mit sich brachten; der kalte Krieg und die Zeit der Entkolonialisierung hätte mit einem neuen, weltweiten ökologischen Friedens- und Kooperationsvertrag enden können, doch wurde diese Chance weitgehend verspielt. Nur die Notwendigkeit wurde erkannt und proklamiert; sie durchzusetzen, hat man den kommenden Jahrzehnten überlassen - wenn nur so viel Zeit bleibt.

Und wer die ökologische Wende tatsächlich ernsthaft betreiben will, darf nach "Rio '92" zwar auf Uno-anerkannte Grundsätze und die "Erklärung von Rio" pochen, wird aber sein Engagement so weit nach vorne schieben müssen, daß er die Banalitäten und Selbstverständlichkeiten, die inzwischen Gemeinplatz geworden sind, verläßt und sich Tag um Tag fragt, wo ein Stück Zerstörung oder Verschmutzung aufgehalten und ein Stück Sanierung gefördert werden kann. Das Rezept wird heißen "weniger ist mehr": weniger Verkehr, weniger Chemie, weniger Müll, weniger Rüstung, weniger Energieverbrauch, weniger Bevölkerung, weniger Verbauung... Einfachheit, Kooperation und Anpassung werden gefragt sein - etwas von jener "arte dell' arrangiarsi" (Kunst des Überlebens, könnte man sagen), in der die Armen und "Rückständigen" den Reichen und "Fortschrittlichen" viel beizubringen hätten.

Die Alternative zu einer friedlichen und einvernehmlichen Lastenverteilung bei der Umweltsanierung heißt wahrscheinlich "Risiko-Poker" und möglicherweise "ökologischer Weltkrieg": denn wenn sich der industrialisierte Norden und der umweltträchtige Süden aufs gegenseitige Erpressen verlegen und auf der einen Seite Geld, Technologie und Rüstung, auf der anderen aber Kinder- und Umweltreichtum in die Waagschale werfen und gegeneinander ausspielen, könnte die zerbrechliche Öko-Bilanz der Erde endgültig zusammenbrechen. Das "wir holzen ab und wandern aus, solange wir uns nicht anders ernähren können" des Südens hätte dabei noch mehr moralische Berechtigung als das "wir exportieren unseren Müll, wohin wir wollen und holen unser Erdöl, woher wir wollen - wenn Geld nicht genügt, haben wir auch Militär" des Nordens. Nur - eine Lösung und ein Überleben garantiert keine dieser beiden Positionen. Da hat die Konferenz von Rio de Janeiro höchstens einen Anfang gebracht, nicht mehr.

Mehr als 100.000 Menschen sind wegen der ökologischen Weltkonferenz in Rio: rund um die 5000 Mitglieder der über 170 Regierungsdelegationen, die etwa 8500 Medienvertreter, die 18.000 Aktivisten von Nicht-Regierungsorganisationen (NROS) kreisen noch 70.000 Personen, die für Organisation, Sicherheit, Fernmeldewesen, Transport, Unterbringung, Sekretariat u.dgl. zuständig sind. Ganz zu schweigen vom Aufwand der brasilianischen Behörden, die ein beängstigendes Militär- und Polizeiaufgebot angeordnet haben, um anläßlich der Umweltkonferenz keinerlei Umwelt "verschmutzung" durch Bettler, Straßenkinder, Kriminelle, De-

monstranten oder sonstige Unruhestifter zuzulassen.

So hat man die Kinder zwangsweise interniert (und verköstigt sie während dieser Tage) und die Sicherheit der ganzen Riesenstadt durch schwerbewaffnete Patrouillen garantiert. Proteste gegen dieses Vorgehen ignoriert man. Mancher Bürger wünscht sich, es gäbe das ganze Jahr lang so viel Ruhe und Ordnung.

Kein Wunder, daß die Preise hinaufschnellen mitunter täglich - und alle "cariocas" (die Bewohner Rios) versuchen, dank Unced ebensogute Geschäfte zu machen wie durch den Karneval. Noch dazu dauert der Öko-Karneval doppelt so lang. Aus Südtirol zähle ich im Lauf der Tage 7 (sieben!) Teilnehmer. Die offizielle Regierungskonferenz spielt sich 40 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt ab. Besonders wichtige Teilnehmer werden im Hubschrauber eingeflogen, jeder Taxifahrer hofft auf einen Kunden nach Riocentro, der fürchterlichen Betonmasse mitten in einer traumhaften subtropischen Lagunenlandschaft. In einem solchen Schauer-Konferenzzentrum kann fast nichts Umweltfreundliches herauskommen, obwohl es für zwei Wochen formell unter die Hoheit der Vereinten Nationen übergegangen ist und deshalb dort Blauhelme der Uno und multinationales Uno-Personal Dienst tun.

Den Vorsitz führt Brasilien, als Gastgeber; bei wichtigen Sitzungen (Eröffnung, Schlußtage) der Präsident, sonst der Außenminister oder sonstige Diplomaten. Die Plätze für die Regierungen der ganzen Welt sind eher eng, aber fast alle haben ihre eigenen Räume, um sich innerhalb der Delegationen beraten zu können. Tragbare Telefone haben Hochsaison, die Journalisten und Delegierten verzweifeln - trotz reichlich installierter Technik - ob der Schwierigkeiten, zur rechten Zeit an den rechten Ort Texte, Bilder und Gespräche übermitteln zu können.

Die Delegation ltaliens steht in den ersten Tagen unter der Leitung des Umweltmini-sters Giorgio Ruffolo, der sich durch einige positive Vorstöße auszeichnet (sofortige Unterzeichnung der Konventionen zum Schutz des Klimas und der Artenvielfalt, trotz der Widerstände aus den USA; Vorschlag einer einseitigen, wenn auch bescheidenen Energiesteuer in den Industrieländern). Dann folgt ein lnterregnum der hohen Beamten, und schließlich ein Gastspiel des Außenministers De Michelis, den Umweltschützer aus Italien bei seinem Gang in die Diskothek abpassen, um auf ihn einreden zu können: er hört gutmütig zu, verspricht aber nichts.

Die österreichische Delegation spielt einige Tage lang eine Vorreiterrolle: zusammen mit den Niederlanden und der Schweiz versucht sie, die umweltfreundlicheren Industrieländer zu mehr Großzügigkeit gegenüber der Dritten Welt und mehr Mut in der Naturschutzpolitik zu ermutigen.

Doch je länger die Konferenz dauert, desto mehr konzentriert sich alles auf die Haltung der USA und der großen Industriestaaten. Da würde man sich eine festentschlossene und handlungsfähige Europäische Gemeinschaft wünschen - doch kann Laurens Jan Brinkhorst, der EG-Generaldirektor für Umweltpolitik und Chef der EG-Delegation, dort keine Wunder wirken, wo der politische Konsens der 12 EGStaaten versagt hat und selbst Umweltkommissar Ripa di Meana erbost resignieren mußte.

Mit der Uno-Umweltkonferenz wird weltweit eine neue Ideologie, ja, fast Religion lanciert. Die Schlüsselworte heißen "nachhaltig" und "global". Nach fast einem halben Jahrhundert Wachstums-Anbetung als "development" (Entwicklung) 1949 vom US-Präsidenten feierlich zum Ziel der Menschheit erklärt - ist die Umweltgefährdung so akut geworden, daß auch die Staaten nach Abhilfe suchen. "Sustainable", nachhaltig, erträglich, sollen die Entwicklung und das Wachstum nun sein: also nicht den Ast absägen, auf dem man sitzt. Und alles muß global sein, niemand darf sich mehr Kirchtumdenken leisten, weil die ganze Erde so eng zusammengewachsen ist.

Zauberworte haben's in sich: sie lassen sich auch flugs zur bequemen Be-schwörungsformel verbiegen. Wer die manchmal geradezu widerliche Gschaftlhuberei der verschiedenen (amtlichen und auch teilweise alternativen) "global managements" in Rio gesehen hat, wo Globalfunktionäre das Wohlergehen der Menschheit, des Planeten, der Artenvielfalt und der Naturvölker erforschen, planen, verwalten und vertreten, müßte auch hier mißtrauisch und bockig werden - vielleicht ist der Kirchturm, wo man zumindest die Übersicht nicht verliert und weiß, auf wen man sich verlassen kann und auf wen nicht- gar nicht so von der Hand zu weisen.

Zwei Tage sind in Rio der Diskussion über ein internationales Umweltgericht gewidmet. Unter dem Vorsitz des italienischen Kassationsrichters Amedeo Posti-glione wird von Juristen aus zehn Ländern der Gedanke diskutiert, bei der Uno ein Umweltgericht einzusetzen, das grenzüberschreitende Streitigkeiten und Verletzungen in Sachen Umwelt schlichten, richten und ahnden soll. Etwa so wie der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg auf Initiative von Bürgern auch Staaten unrecht geben kann... Die Idee fällt auf fruchtbaren Boden, entsprechende Komitees gibt es schon in mehreren Ländern, aber die Staaten wollen von so viel Souveränitätsabtretung nichts wissen.

Es ist kein Zufall, daß keine einzige Regierung - nicht einmal Malta, trotz aussichtsreicher Zusagen - diesen Punkt in Rio auf die Tagesordnung gesetzt hat. Also wird man sich noch länger gedulden müssen, bis weitere Katastrophen (defekte Erdöltanker, Atomunfälle, Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten..) oder Streitigkeiten (beispielsweise um Internationale Wasser- oder Fischereirechte oder Bodenschätze) diese Notwendigkeit unabdingbar aufs Tapet bringen. Auch die dazugehörige internationale Umweltagentur, als Ansatz für eine weltweite Autorität in Sachen Umwelt, liegt noch in ferner Zukunft, obwohl beispielsweise das Europäische Parlament beides bereits in einer Resolution befürwortet hat.

lm feierlichen Plenarsaal des Parlaments von Rio (im vorigen Jahrhundert, als Rio noch Hauptstadt war, auch erstes Parlament Brasiliens) tagt drei Tage lang das "Global Forum of Parliamentary and Spiritural Leaders": ein prominentes Forum von Parlamentariern, geistlichen Würdenträgern und - neuerdings - auch Geschäftsleuten aus der ganzen Welt. Unter den Teilnehmern befinden sich Dom Helder Camara, der unerschrockene Erzbischof der Armen aus Recife, dessen kleine und nun gebeugte Gestalt allen großen Respekt einflößt, der Dalai Lama, der in Rio gleichzeitig für die Anliegen der Erde und seines tibetischen Volkes eintritt, der islamische Ober-Mufti aus Syrien und jüdische Rabbiner aus Israel und den USA... aber auch der Schweizer Unternehmer Stephan Schmidheiny, der überzeugt ist, daß ökologische Erneuerung über betriebliche Effizienz und gute Technologie zu leisten ist. Parlamentarier aus allen Erdteilen sind versammelt. Um Aufgeschlossenheit und unkonventionelles Denken zu bekunden, werden die Sitzungen vom amerikanischen Sänger John Denver eröffnet (Schnulzen zur Rettung des Planeten, höre ich heraus), und brasilianische Straßenkinder dürfen von einer Tribüne herunter einige Worte an das erlauchte Gremium richten.

Gorbatschow, noch bei der vorangehenden Ausgabe dieses Forums im Jahre 1990 Gastgeber in Moskau, wird vergeblich erwartet. Er meldet sich nur per Fax, mit einem schon länger bekannten Vorschlag, der den Clou dieses Treffens ausmacht: warum nicht ein internationales "Grünes Kreuz" gründen, das sich Öko-Prävention und erste Hilfe bei Umweltkatastrophen zum Ziel setzt? Unter dem Vorsitz der Niederländerin Therpstra wird per Akklamation der Beschluß gefabt, diesen Vorschlag zu unterstützen und Gorbatschow als ersten Präsidenten vorzuschlagen.

Unterzeichnet wurden von den Staats- und Regierungschefs nur sehr wenige Verpflichtungen: Konventionen, die nun von den Unterzeichnerstaaten erst ratifiziert werden müssen, schauten schließlich nur zwei heraus: eine über den Schutz des Klimas, die zweite über Artenvielfalt. Doch stehen in beiden nur sehr allgemeine Grundsätze: daß die Erwärmung der Erdatmosphäre durch C02 und die Schädigung der Ozonschicht durch Treibhausgase durch Herabsetzung der Emissionen und gerechtere Verteilung zu bekämpfen sei (aber keine verbindliche Energiesteuer und kein noch so bescheidener bindender Maßstab - etwa: bis zum Jahr 2000 unter die Marke von 1990 zurückzugehen - wurde festgeschrieben) und daß die Erhaltung der Artenvielfalt, die vor allem eine Frage der tropischen und subtropischen Umwelt ist, den betreffenden Ländern durch Teilnahme an den Einkünften durch Nutzung genetischer Ressourcen abgegolten werden muß.

Gerade die Artenvielfalt, die vielzitierte Biodiversität, hat sich als Stolperstein der Konferenz von Rio erwiesen. Präsident Bush hatte trotz gegenteiligen Ratschlags seines Verhandlungsführers William Reilly (Chef der angesehenen US-Umweltagentur) die Weigerung der Vereinigten Staaten angekündigt, diese Konvention zu unterzeichnen, und war trotz aller Versuche der Engländer, Deutschen, Kanadier, Japaner und EG-Mission bei seiner Ablehnung geblieben.

Mit anderen Worten: die US-Industrien wollen nicht nur weiterhin die Möglichkeit des freien Zuganges zu den genetischen Schätzen der Natur (tierische und pflanzliche Artenvielfalt garantiert die schier unerschöpflichen Kombinationen lebendiger Materie auch im Labor), die sie dann in ihre Samenbanken und Bio-Patente verwandeln, sondern lehnen es sogar ab, dafür jene minimalen (und im Ausmaß noch gar nicht festgesetzten) Tantiemen an jene Länder zu zahlen, die als Hüter der Biodiversität eine weltweite Verantwortung übernehmen. Die Biotechnologie zeichnet sich als die lndustrie der Zukunft ab (sie wird einen ähnlichen Schub verursachen, wie das im letzten Jahrzehnt die Elektronik tat), die USA haben heute einen Umsatz von 2 Milliarden Dollar, der in wenigen Jahren auf 50 Mrd. wachsen wird, und denken nicht im mindesten daran, die eigentlichen Eigentümer - wie etwa die Erdöl-Scheichs im Falle des Mineralöls - irgendwie daran mitzubeteiligen. Im Gegenteil - Leben und lebendige Materie sollen künftig patentiert werden, so daß nicht mehr der Urwald, sondern das Labor die Schatzkammer der Biologie ist und den armen Ländern ein weiterer Reichtum abgeknöpft sein wird.

Doch seit dem Vietnamkrieg hat es nie eine so große internationale Isolierung der USA gegeben wie dank der verweigerten Unterzeichnung der Konvention über Artenvielfalt, und auch im lnneren der USA ist es noch mitnichten garantiert, daß die Bürger sich vom Gerede über Arbeitsplätze in der Bio-Industrie abspeisen und als Volk auf die internationale Umweltsünderbank drängen lassen wollen.

Vielleicht wird sich diese wahltaktische Entscheidung von George Bush noch als kolossaler und langfristiger Bumerang erweisen: in Rio erhielt er nur verlegenen Höflichkeitsapplaus, während sein (auch schon längst abgenützter) Gegenspieler Fidel Castro durch seine Öko-Drittwelt-Rhetorik stark und begeistert beklatscht wurde. Und selbst Großbritanniens Premier Major mußte auf Distanz gehen. Frankreichs Präsident Mitterrand und der deutsche Kanzler Kohl nutzten die Gelegenheit, sich als großzügig und umweltfreundlicher zu zeigen.

Ganz anders ging es auf der Basis-Ebene zu. Die vielen Nichtregierungs-Organisationen (NROs), die sich nach vier weltweiten Vorbereitungstreffen in Rio ebenfalls zwei Wochen lang im Flamengo-Park und im 0Konferenzzentrum des Hotels Gloria versammelten und mit größtem Ernst die Vernetzung der Umwelt- und Bürgerbewegungen betrieben, hatten beschlossen, ebenfalls Konventionen zu erarbeiten und der internationalen Umwelt- und Dritte-Welt-Szene zur Diskussion und zur Unterschrift vorzulegen. Rund 30 solche Verträge wurden ausgehandelt und paraphiert: vom Schutz einheimischer Pflanzen und landwirtschaftlicher Anbaumethoden bis zum sparsamen Umgang mit Rohstoffen, von der Beschränkung der Motorisierung und Verbauung in der nördlichen Welt bis zu umwelt- und sozialverträglichem Fischfang. Dabei ging es nicht weniger seriös und umfassend zu als bei der Regierungskonferenz. Und überall mühte man sich, ausgehend von den Anliegen der Dritten Welt, um einen für die Menschen im Norden und Süden und für die Natur zumutbaren Ausgleich. Wenn beispielsweise der berühmte französische Ozeanograph Jaques Costeau drastische Maßnahmen zur Senkung der Geburtenrate gefordert hatte, setzte sich schließlich doch der von der Inderin Vandana Shiva vertretene Standpunkt durch, daß eine neue "Auslesephilosophie", die der Norden fordert, so lange nicht akzeptabel sei, als die Umwelt- und Konsumbelastung durch Menschen in den industrialisierten und in den nicht-industrialisierten Ländern so radikal auseinanderklaffen.

Und wenn die Regierungen über die Errichtung des GEF (Global Environment Fonds, ein weltweiter Ausgleichsfonds fiir Umweltsanierung) diskutierten, schrieben die Basisorganisationen inzwischen fest, daß die Verwendung solcher Gelder demokratisch, unter Mitbeteiligung sozialer und ökologischer Organisationen zu verwalten sei. In der täglichen Versammlung des "planeta femea", des weiblichen Planeten (ein Zelt, in dem sich Hunderte von Frauen aus aller Welt zwei Wochen lang begegnen und besprechen konnten), setzte sich auch das Prinzip durch, daß ohne die Frauen überhaupt keine Umweltpolitik zu machen ist, außer man will sie autoritär und durch Management durchsetzen. Doch widerstanden die meisten Frauen der Versuchung, ihre Forderungen ebenfalls in Paragraphen und Traktate zu kleiden.

Daneben gab es auch die spektakulären Aktionen: Greenpeace hatte das siegreiche Anti-Atomschiff, das dazu beigetragen hatte, Frankreichs Atomversuche im Pazifik einzustellen, in der Bucht von Rio aufkreuzen lassen, und der Internationale WWF startete einen Heißluftballon über Riocentro, mit groben Lettern, die forderten, nicht nur heiße Luft zu verbraten. Doch alle die vielen Vertreter/innen der weltweiten Umweltbewegung haben gewiß viel Sitzleder beansprucht, um so etwas wie eine informelle Organisation der Vereinten Nationen auf Basisebene ins Leben zu rufen - formalisiert soll sie allerdings nicht werden, und das ist wohl auch vernünftig, wenn man nicht eine neue "Basisbürokratie" aufbauen will.

Wenig vertreten war in Rio der ehemals kommunistische Osten - sowohl auf Regierungs- wie auf Basisebene; um so mehr Beachtung fanden die wenigen weißen Raben aus der Ukraine, Jugoslawien, Polen, Ungarn und anderen Ländern, die für sich eine Mittelposition reklamierten: nicht so über-entwickelt wie der Westen, aber auch nicht zur Dritten Welt gehörig. "Vielleicht müssen wir mehr auf den Süden schauen, wenn wir die Freiheit nicht einfach mit Kauffreiheit verwechseln wollen", meinte der Pole Jan Caikovskii in einer Podiumsdiskussion.

"Fünfhundert Jahre Entrechtung müßten uns wohl das Recht geben, mindestens fünf Minuten vor der Uno-Konferenz sprechen zu können", meinte Marcos Terrena, Koordinator der brasilianischen Eingeborenenstämme, die zahlreich nach Rio gekommen waren, um im 500-Jahre-Jubiläum ihre Rechte geltend zu machen. Doch obwohl man ihnen einige Kilometer außerhalb von Riocentro ein provisorisches Zelt- und Barackendorf zugewiesen und Räumlichkeiten für Tagungen zur Verfügung gestellt hatte und Unced-Sekretär Maurice Strong eine Friedenspfeife mit ihnen geraucht hatte, blieb dieser Wunsch gänzlich unerfüllt. Nur die Nichtregierungs-Organisationen hatten echtes, nicht bloß folkloristisches lnteresse für die Eingeborenen gezeigt, die zum ersten Mal weltweite tragfähige Kontakte untereinander angebahnt haben.

Hatte die Uno vielleicht gedacht, für 1993 bloß symbolisch ein "Jahr der eingeborenen Völker" auszurufen, ist sie nun mit zahlreichen Forderungen konfrontiert, die von der Rückgabe ihrer Ländereien und heiligen Schriften und Gegenstände bis zum Verlangen nach Anerkennung ihrer Sprachen, Kulturen, Weisheit, Heilkunst, Erziehung und Religionen reichen.

Von Tag zu Tag war ihre Anwesenheit in Rio unübersehbarer und der Widerspruch, den sie in dieses Großereignis brachten, unleugbarer: die einzigen Vö1ker, die noch pfleglich mit der Natur umzugehen wissen, waren aus diesem Weltgipfel drastisch ausgesperrt.

Welch ein Glück für die Uno und die Weltpresse, daß gerade kurz vor Abschluß der Rio-Konferenz ein Indio-Skandal ruchbar wurde: Kayapò-Häuptling Paulinho hatte ein weißes Mädchen auf üble Weise vergewaltigt und anscheinend auch gefoltert - so war die Welt wieder in Ordnung: auch Eingeborene sind keine besseren Menschen, und letztlich gibt's eben doch keine Alternativen zur Zivilisation!

Da muß man sich ein vergleichsweise kleines, aber konkretes Ergebnis der großen Unced-Konferenz loben. Die "Campagna Nord-Sud" ltaliens konnte nach zweijährigem Verhandeln den großen halbstaatlichen ENI-Konzern überzeugen, rund 200 Quadratkilometer großteils noch nicht gerodeten Urwaldes im Mato-Grosso-Gebiet (der eigentlich für Viehzucht angekauft worden war), an das kriegerische Volk der Xavantes-Indianer zurückzugeben, die vor 20 Jahren von dort vertrieben worden waren, um der Fazenda Suia Missù der Agip-Petroli Platz zu machen.

Zwar sind die Xavantes mittlerweile durch Krankheiten und lrrwege dezimiert und geschwächt, doch warten nun rund 1200 von ihnen an der Grenze zur bisherigen Fazenda, trotz der Drohungen der UDRGroßgrundbesitzer-Partei in aller Legalität in ihr Land zurückzukehren. ENI-Präsident Gabriele Cagliari ließ sich persönlich herbei, mit den Xavantes-Führern Aniceto und Damiao und den Vertretern der italienischen Nord-Süd-Kampagne diese Rückgabe in Rio feierlich anzukündigen - was natürlich für den italienischen Chemie-Riesen ein erheblicher Image-Gewinn ist.

Trotzdem - wenigstens ein kleines Stück Wiedergutmachung hat in Rio begonnen.

Alexander Langer

pro dialog