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Zypern: Wo die Mauer noch nicht gefallen ist

1.10.1990, Aus "KOMMUNE", Oktober 1990
Auch nach dem Fall der Berliner Mauer (und der gewaltsamen Vereinigung Jerusalems) gibt es noch Städte, die mittendurch zerrissen sind. Eine davon ist Nicosia, die Hauptstadt Zyperns, wo man in nahöstlicher (ärmerer, schlampigerer, aber nicht weniger unerbittlicher) Version ähnliche Eindrücke gewinnen kann wie bis vor kurzem in Berlin: zerschossene Häuser an der Frontlinie, Wachtposten, Gedenkstätten für die Opfer, militärische Aussichtstürme "nach drüben". Und kein Durchgang, außer für Diplomaten.

Wer von griechisch-zypriotischer Seite kommt, stößt zuerst auf die (griechischstämmigen) Soldaten der Inselrepublik, dann gibt's einen schmalen UNO-Truppen-Gürtel (vorwiegend Finnen und Österreicher), dann das türkisch-zypriotische Militär und schließlich die eigentlichen Hausherren des nördlichen Teils der Insel, die türkische Armee. Hüben weht die Zypernflagge (weiß, mit gelbem Insel-Umriß), aber auch griechische Flaggen, drüben türkische und türkisch-zypriotische.

Geteilt ist die Insel seit dem Sommer 1974, als die Türkei auf einen von den griechischen Obristen unterstützten Rechtsputsch gegen den Präsidenten Erzbischof Makarios prompt und bewaffnet reagierte. Hatte die griechische Rechte gehofft, durch einen Handstreich die von den Nationalisten erträumte "Enosis" (die Vereinigung Zyperns mit Griechenland) herbeizuführen, mußte sie nun sehr schnell merken, daß sie dadurch ganz im Gegenteil der Türkei einen willkommenen und sozusagen legalen Anlaß zur militärischen Intervention gegeben hatte. (Sofort nach diesem Rückschlag brach das griechische Militärregime zusammen.) Mit dem erklärten Ziel, die türkische Minderheit der bi-nationalen Inselrepublik vor griechischen Übergriffen zu schützen, landete die türkische Armee und okkupierte - trotz UNO-Protest - unter wohlwollendem Augenzwinkern des damaligen US-Staatssekretärs Kissinger ein gutes Drittel der Insel. Rund 38% des Territoriums, praktisch der ganze Norden Zyperns, steht nun unter türkischer Herrschaft, und obwohl den von Raouf Denktash auf türkisches Betreiben ausgerufenen Nord"staat" außer seinen Auftraggebern niemand anerkennt, ist die verbliebene Republik Zypern auch nur mehr ein Rumpfgebilde und hält bloß formal noch den Anspruch aufrecht, ein Staat mit griechisch- und türkisch-stämmiger Bevölkerung zu sein.

In Wirklichkeit haben die gewaltsamen Ereignisse von 1974 auf dramatische und extreme Weise die Feindschaft zwischen den beiden Volskgruppen auf die Spitze getrieben. Und war die von den griechischen Zyprioten 1959 erkämpfte Unabhängigkeit von Großbritannien (das aber noch Teile Zyperns als Militärbasen innehat) dem türkischen Bevölkerungsteil (knapp 20%) nie ganz geheuer, und hatte es früher regelmäßig Streit zwischen den Politikern der beiden verfeindeten Volksgruppen gegeben, wurde nun durch die türkische Invasion die Volksgruppentrennung und "-Entmischung" bis zum äußersten herbeigeführt. Vor den plündernden und mordenden Türken flohen sämtliche Griechen aus dem Nordteil in den Süden, und wenig später zogen - unter vielfältigem Druck - die in den südlichen Städten und Dörfern siedelnden Türken in den Norden. So herrschte endlich jene ethnische Abgrenzung und Eindeutigkeit, die von den Nationalisten und Hintermännern beider Seiten immer wieder gewünscht worden war. Um den Preis von rund 250.000 Flüchtlingen (auf 600.000 Einwohner), mehreren Tausend Toten und Vermißten, Napalm-Bränden in vielen Bergwäldern und verheerenden Zerstörungen von griechisch-christlichen Kulturdenkmälern im Norden. Griechen und Türken hatten, wie schon in den 20er Jahren in der Ägäis und in Kleinasien, durch beiderseitige massive Aussiedlungen "klare Verhältnisse" geschaffen. Und dabei Zusammenhänge und Lebensarten zerrissen, die seit Jahrhunderten ein gegenseitiges Auskommen gefunden hatten und denen man heute in Zypern nachtrauert.

"Sehen Sie, so war das früher: hier die Moschee, dort die Kirche, hier ein Türkenviertel, dort das vorwiegend griechische Hafenquartier... jetzt gibt's in Larnaka zwar noch eine Moschee mit einem türkischen Imam, aber der hat praktisch keine Gemeinde mehr. Und drüben gibt's überhaupt keine christlichen Kirchen mehr. Früher konnten sich die meisten Familien auch in der anderen Sprache ausdrücken, viele Dörfer waren gemischt. Wir haben viele alte Türkenhäuser leer gelassen, damit sie zurückkommen können, weil wir dasselbe für uns beanspruchen, aber Sie können es selbst sehen: die Häuser verfallen, und wir verlieren auch langsam die Hoffnung.." So erzählen Flüchtlinge, die inzwischen im Süden sehaft geworden sind. Mehr als zwei Drittel aller Gemeinden waren vor 1974 gemischt besiedelt. Heute gibt's nur mehr ein gemischtes Dorf, in einer der britischen Zonen, mit einer höchst komplizierten Verwaltung - die Leute scheinen gut miteinander auszukommen und der Schmuggel blüht.

Die von der UNO (die sich im Lauf der Jahre erstaunlich intensiv und relativ erfolglos um den Frieden auf der Insel bemüht hat) immer wieder angestrebten Gespräche zwischen den beiden Seiten stocken - auch weil formell auf der einen Seite eine legitime Regierung und auf der anderen Seite die Führung eines usurpierten Staates (die engstens von der türkischen Regierung abhängt) steht und es nicht leicht ist, eine für beide Seiten akzeptable Verhandlungsebene festzulegen. An eine "Enosis" mit Griechenland denkt heute kaum mehr jemand, man würde sich im griechischen Teil der Insel gerne wieder in die Makarios-Zeit zurückversetzen lassen und auch einiges an türkischen Hemmschuhen in Kauf nehmen, die in die frühere bi-nationale Verfassung eingebaut waren. Aber je mehr der Norden von türkischen Einwanderern besiedelt wird (derzeit etwa 60.000, plus 30.000 Soldaten, gegenüber rund 120.000 türkischen Zyprioten), desto schwieriger gestaltet sich die Aussicht auf Wiedervereinigung, und desto enger werden die Bande des Nordens zur kontinentalen Türkei. Schon eine Föderation der beiden Inselteile scheint den Türken unannehmbar, erst recht natürlich die von den UNO-Resolutionen immer noch hochgehaltene "Einheit, Unabhängigkeit, Unteilbarkeit und Bündnisfreiheit" der Inselrepublik. Höchstens bis zu einer lockeren Konföderation würden sie mitmachen, und dafür aber eine Anerkennung ihres Nordstaates und der "grünen Linie" fordern: so heißt nämlich witzigerweise die Demarkation, die durch die "Operation Attila" im Juli und August 1974 erzwungen wurde.

Hohen Symbolwert hat vor allem für die griechischen Zyprioten die Geisterstadt Varosha-Famagusta, eine der unglaublichsten Konstruktionen kriegerischer und gewaltsamer Logik. Nahe der Demarkation liegt die einstige, fast ausschließlich griechisch bevölkerte Stadt Varosha - sozusagen die Neustadt des alten Hafens Famagusta. Rund 40.000 Griechen mußten flüchten, doch der UNO gelang es, diese Stadt nicht durch Türken besiedeln zu lassen. Nun steht sie - unter türkischer Okkupation - seit 16 Jahren leer, wurde mehrfach geplündert, verfällt von Tag zu Tag und ihre rechtmäßigen Bewohner können sich nur bis auf etwa 5 km annähern ("grüne Linie"!); die "Leute von Famagusta" bilden einen besonders kompakten und aktiven Teil der Flüchtlinge und haben inzwischen mehrere andere große Städte gewerblich und kommerziell neu belebt (Limassol und Larnaka vor allem), was natürlich auch Neid hervorruft. Aber alljährlich treffen sie sich im August - diesmal unter Teilnahme einer Delegation des europäischen Parlaments - auf der Anhöhe über Famagusta und demonstrieren für ihr Recht auf Rückkehr. Bisher vergeblich.

Zypern hat durch die Teilung auch ökonomisch eine große Veränderung erlebt. Der reiche agrarische Norden und das wichtige Fremdenverkehrsgebiet um Famagusta sind in den Händen der Türken verlieben. So mußte der "levantinische" Charakter mit viel Handel und Dienstleistungen - vor allem für den Nahen Osten - und eine recht einseitige touristische Überentwicklung noch stärker hervorstechen. Zypern ist heute im Verhältnis der viert-motorisierteste Staat der Welt, und das pro-Kopf Einkommen ist etwa so hoch wie in Italien. Aber gerade die starke Bautätigkeit (Hotels, Straßen, Wohnhäuser, usw.), die durch das Flüchtlingsproblem und durch den Fremdenverkehr entstanden ist, hat auch ernsthafte Umweltschäden verursacht, und die Wassernot und die Verarmung des Landesinneren ist typisch für die mediterranen Tourismus-Regionen. Gleichzeitig nagt der starke Tourismus natürlich auch am Nationalbewußtsein und an der Bereitschaft, sich für ein politisches Ziel einzusetzen, was vor allem von den kirchlichen (griechisch-orthodoxen) Kreisen mit Sorge gesehen wird. Denn kaum irgendwoanders in der Welt erlebt man das Bewußtsein so stark, an einer sehr konturierten Schnittlinie zweier Kulturkreise zu stehen. Pointiert könnte man sagen: Christentum/Islam, Hellenismus/Asiatische Welt, West/Ost in einem tieferen Sinne, als es vielleicht in Europa der "eiserne Vorhang" bedeutete. Viele griechische Zyprioten empfinden ihre Lage ähnlich wie jene Israels (für das es keine große Sympathie gibt) oder der Christen im Libanon (die gerne auf Zypern Urlaub machen): man sieht sich einer islamischen Belagerung ausgesetzt, in der man wenig Hoffnung hat, sich duerchzusetzen, aber trotzdem mit der Zähigkeit der Jahrhunderte an jedem Zoll Erde und Kultur festhält.

Die Welt sieht, von Zypern aus betrachtet, anders aus: man fragt sich bei jedem Ereignis, ob dadurch die Türken stärker oder schwächer werden, und schätzt die eigenen Chancen dementsprechend ein. So wurde die Golfkrise um vieles hautnaher mitempfunden als in Europa: nicht nur, weil man sich mit Fug und Recht fragte, warum UNO-Resolutionen zu Kuwait soviel Nachdruck und Sanktionierung verdienen und jene zu Zypern einfach übergangen und vergessen werden dürfen ("vielleicht nur, weil wir kein Erdöl haben"), sondern auch, weil man sich sofort klar war, daß die (politischen) Aktien der Türkei wieder in die Höhe schnellen würden, und niemand mehr sich diesem kostbaren Partner des Westens in die Quere legen würde.

Ein Grund mehr für das Volk und die (mitte-links-orientierte) offizielle Politik Zyperns, sich eine baldige Aufnahme in die E.G. zu wünschen, um endlich ein Teil Europas - des Abendlandes - zu werden und nicht mehr isoliert den Türken die Stirne zu bieten. Und da die Türkei ihrerseits an einem Nahverhältnis zur E.G. höchst interessiert ist, scheint es glaubhaft, daß der Weg zur Befriedung Zyperns eher über die Europäische Gemeinschaft als über die Vereinten Nationen führen wird. Obwohl die E.G. mehrfach (zuletzt beim Dubliner Gipfel im Juni 1990 und durch die italienische Ratspräsidentschaft) ein gewisses Interesse an Zypern geäußert hat, sollte dieses Thema vielleicht doch nicht bloß den Diplomaten, den Militärs und der Exportwirtschaft überlassen bleiben.
pro dialog