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Zur Tagung des europäischen Rates in Essen

12.12.1994, EP - ENTSCHLIESSUNGSANTRAG B4-0523/94
zum Abschluß der Aussprache über die Erklärung der Kommission eingereicht gemäß Artikel 37 Absatz 2 der Geschäftsordnung von den Abgeordneten ROTH und LANGER im Namen der Fraktion DIE GRÜNEN im Europäischen Parlament zur Tagung des Europäischen Rates in Essen

Das Europäische Parlament,

A. überzeugt, daß heute mehr denn je das friedliche Zusammenwachsen Europas sowie die Demokratisierung, Fortentwicklung und Ausweitung der Europäischen Union zum gemeinsamen Haus aller EuropäerInnen geboten ist,

B. enttäuscht über die mageren Ergebnisse der Ratstätigkeit im letzten Halbjahr, wo von vielen erwartete und von der deutschen Regierung teilweise angekündigte Meilensteine schlicht ausgeblieben sind: von Transparenz bis Klimaschutz, vom Ausbau der Unionsbürgerschaft bis zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, von wirksamen Maßnahmen im Jugoslawien-Krieg bis zur Ökosteuer und Trinkwasserschutz,

C. im Bedauern, daß es keinen Fortschritt in der Vorbereitung der EU-Reform 1996 gegeben hat, europäische Sicherheitspolitik weiterhin an NATO und WEU abgetreten, unkontrollierbare Parallelstrukturen wie Europol oder das deutsch-französische Eurokorps ausgebaut, die Aussichten auf politische Integration eher geschwächt als gestärkt, der innere Zusammenhalt der Union (auch durch das "Kerneuropa-Papier") auf harte Proben gestellt wurden,

D. im Bedauern auch, daß die gewiß beachtliche Intention, eine europäische Initiative gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu starten, leider auf der symbolischen Ebene und somit weitgehend wirkungslos geblieben ist,

1. vermißt in Verlauf und Ergebnissen der Ratstagung in Essen jenen neuen Elan und jene integrative Vision, die heute von vielen Bürgern Europas außerhalb und innerhalb der Union erwartet wird, um Europa zusammenzuführen und den Beitrag Europas in der Welt auf die Höhe seiner Möglichkeiten zu bringen;

2. fordert, daß der politischen Integration Europas der Vorrang vor der Durchsetzung eines gemeinsamen Binnenmarktes gegeben werden soll, weshalb der Beitritt mittel- und osteuropäischer Länder nicht in erster Linie von deren wirtschaftspolitischer Kompatibilität abhängig gemacht werden darf (man muß ihnen vielmehr den Zugang für ihre Produkte zum EU-Markt eröffnen);

3. fordert, daß der Beitritt mittel- und osteuropäischer Länder zur Union rechtzeitig auch dadurch angebahnt wird, daß die enormen Umweltschäden saniert werden und man die Wiederholung der westlichen Fehler und die verheerenden Folgen eines rücksichtslosen Wachstums (Straßenbau, Motorisierung, Müll, Energieverschwendung, Konsum...) vermeidet;

4. sieht in der Unterstützung von Menschenrechtsgruppen und Umweltinitiativen in den mittel- und osteuropäischen Ländern eine wichtige Voraussetzung, damit sich dort die zivile Gesellschaft weiter entwickeln und das europäische Zusammenwachsen gefördert werden kann;

5. fordert, daß gleichzeitig und parallel zur Osterweiterung auch eine Politik der Öffnung der EU in den Mittelmeerraum entwickelt wird; die Idee eines Helsinki-ähnlichen Prozesses für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum muß wieder aufgegriffen und umgesetzt werden;

6. sieht eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union vor allem als Beitrag zu einer Friedens- und Demokratisierungspolitik auf dem Weg zu einer gesamteuropäischen Friedensordnung, die in erster Linie des schleunigen Ausbaues der heute unterentwickelten oder fehlenden zivilen Mittel der internationalen Politik bedarf;

7. wünscht sich in diesem Sinne ein ziviles europäisches Friedenskorps (Beobachter, Vermittler...), Maßnahmen zur Prävention und Schlichtung von Konflikten ebenso wie ökonomische und finanzielle Hilfen zur Friedensförderung und gemeinsames Handeln der Union in den internationalen Gremien wie UNO und KSZE, die beide einer Reform und besseren Ausstattung bedürfen;

8. wiederholt seine klare Ablehnung jeglicher Teilungspläne der völkerrechtlich anerkannten Republik Bosnien-Herzegowina und fordert, daß die Europäische Union nach Absprache mit der legalen Regierung all jenen Gebieten Bosniens-Herzegowinas eine besondere Form der Assoziation oder Treuhandschaft anbietet, in denen das Zusammenleben zwischen allen Volksgruppen noch praktiziert wird, bzw. die den Flüchtlingen eine ungehinderte Rückkehr erlauben;

9. fordert insbesondere, daß die sogenannten Schutzzonen auch tatsächlich gemäß den UNO-Beschlüssen gesichert werden und sieht in der Unterstützung für Tuzla und seine Region eine Schlüsselfrage für die Zukunft Bosniens-Herzegowinas;

10. unterstreicht erneut die Notwendigkeit der internationalen Anerkennung und aktiven Förderung all jener Kräfte in allen Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens, die Demokratie und Zusammenleben in der Region noch hochhalten (Medien, Menschenrechtsgruppen, demokratische Parteien..) - was bisher von der EU sträflich vernachlässigt wurde;

11. begrüßt die Kritik des Rates am Urteil gegen kurdische Abgeordnete nach einem eindeutig politischen Prozeß in Ankara, und fordert, daß die Sitzung über die Zollunion mit der Türkei auf unbestimmte Zeit vertagt wird;

12. kann das Verbot sämtlicher Kundgebungen in Essen im Zusammenhang mit dem EU-Gipfel nicht verstehen;

13. fordert von der Ratspräsidentschaft und der Kommission entschiedene Schritte, um

a) der gesamteuropäischen Einigung und den komplementären Integrationsprozessen an den Rändern Europas (im Osten und im Süden) neuen Antrieb zu geben;

b) ökologische Prioritäten zu setzen: die Verpflichtungen aus Rio 1992 ernstnehmen (Klimaschutz, Klimakonferenz in Berlin), Akzente auf Energiesteuer, Müllvermeidung, Stopp der Patentierung von Lebewesen und Genmanipulation, Trinkwasser- und Grundwasserschutz zu legen;

c) die Rückführung des völlig überhöhten Projekts der "transeuropäischen Netze" auf eine verträgliche Verkehrspolitik anzubahnen und insbesondere sorgfältige Prüfung der Umwelt- und Sozialverträglichkeit zu gewährleisten;

d) neue Arbeitsplätze vor allem im Umweltbereich zu schaffen und den Einstieg in die Umverteilung von Arbeit zu fördern;

e) deutliche Signale zu setzen im Ausbau der Bürgerrechte (z.B.Datenschutzrichtlinie), bei der Demokratisierung und Transparenz der Entscheidungen sowie im Menschenrechtsschutz auch in EU-Ländern;

f) den Aufbau eines zivilen europäischen Friedenskorps anzugehen, in dem Zivildienstleistende und andere auf freiwilliger Basis einen gemeinsamen europäischen Beitrag zur Friedenspolitik leisten könnten;


14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den Regierungen und Parlamenten all jener Staaten, mit denen Assoziations-, Europa- oder Kooperationsabkommen abgeschlossen wurden, zu übermitteln.
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