Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Europa

Biographie Schriften - Alexander Langer
Albanien Europa
Ex-Jugoslawien Friedenspolitik Grüne Kultur Israel/Palestina Lebensstile Nord/Sud Ost/West Politik Religion Südtirol - Alto Adige Umweltpolitik Zusammenleben
Bibliographie Erinnerungen Nachlass
(22) Cassar-Simma: Trag Sorge - Abbi Cura - Take Care (11)

Über Österreich und die EG

20.12.1989, Aus: STANDARD, Wien, 20.12.1989
Soll Österreich zur EG, ja oder nein? Eine schwierige Frage, die von der österreichischen Regierung mit "ja", von den österreichischen Grünen mit "nein" und von der Bevölkerung, soweit mir bekannt, mit recht verschiedenen Ansichten und differenzierten Argumenten beantwortet wird. Wobei das Spektrum der EG-Kritiker und -Gegner sicher viel breiter ist als man es auf Parteiebene ablesen kann.

Beginnen wir beim Zustand der EG: heute ist es klarer denn je, daß sich für ein gesamt-europäisches Zusammenwachsen jetzt andere (und bessere!) Perspektiven aufgetan haben als je zuvor. Die Auflösung der gegnerischen Blöcke und die Überwindung der Spaltung Europas ist durch die gewaltfreie Revolution in Mittel- und Osteuropa um vieles nähergerückt. Und gerade von den Völkern, die nun - vom Baltikum bis zum Balkan - ihr bisheriges Zwangssystem abschütteln und nach Alternativen suchen, kommt ein ganz unübersehbarer "Europa-Bedarf" zum Ausdruck. Der Bezug auf Europa wird nicht nur als Projektion kultureller und zivilisatorischer Identität und Zugehörigkeit in Anspruch genommen, sondern auch als konkrete Alternative zum bisherigen Blocksystem und den Supermächten.

Kann die EG hierauf auch nur den Ansatz einer Antwort bieten, oder sollte man sie ebensoschnell auflösen wie man sich das etwa von den Militärbündnissen wünschen möchte, um etwas ganz Neues und diesmal Gesamteuropäisches zu beginnen? Also: die EG abschaffen oder umbauen?

Eine Abschaffung scheint mir völlig außerhalb der konkreten historischen Gegebenheiten zu liegen. Das "real existierende Europa" (mit einem relativ hohen Konsens) ist nun einmal die EG, daran führt kein Weg vorbei: gerade der Osten weiß das ganz genau und neigt sogar zu einer positiven Überschätzung der EG.

Also dürfte es - wenn man konkrete Politik und Geschichte machen will - doch eher anzustreben sein, dieses wenn auch noch so unbefriedigende "real existierende Europa" umzubauen, und zwar in mehrerlei Hinsicht: gesamteuropäisch statt westeuropäisch; sozial, ökologisch und politisch statt ökonomisch und finanziell charakterisiert; blockfrei statt NATO-abhängig; mit einem Wirtschaftsraum, der Starke und Schwache umfaßt, statt als Selbstabkapselung der Starken; regionalistisch statt zentralistisch organisiert, und so weiter.

Und wodurch kann der Umbau der EG am ehesten befördert werden? Doch gewiß durch eine Erweiterung des derzeitigen Teilnehmerkreises! Schon die "Süderweiterung" (Spanien, Griechenland, Portugal) hat die einseitige Nordlastigkeit ein wenig gemildert, nun müßte eine "Osterweiterung" die einseitige Westlastigkeit mildern. Je mehr in einer erweiterten EG auch andere wirtschaftliche und politische Komponenten vertreten wären, als die derzeit dominierenden, desto eher könnte an einem Funktionswandel der Gemeinschaft gearbeitet werden. Andere europäische gemeinschaftsbildende Rahmenorganisationen - etwa über den Europarat oder den KSZE-Prozeß - sollten zwar nicht außer Acht gelassen werden, stellen aber keinerlei realistisch attraktive Alternative dar.

Deshalb scheint mir, daß Österreich zwar gut daran täte, sein Fell so teuer als möglich zu Markte zu tragen und vor allem die österreichische Bevölkerung recht hat, wenn sie auf ihren sozialen, ökologischen, demokratischen und neutralen Standard pocht und ihn als unverzichtbar erklärt (insofern ist der grün-alternative "Brief nach Brüssel" voll zu unterstützen!), aber daß daraus noch keine Ablehnung eines entsprechend abgesicherten Beitritts zur Europäischen Gemeinschaft folgen darf. Vielmehr könnte Österreich gerade eines der umbau-fördernden Elemente in der Gemeinschaft werden, und ein unschätzbar wertvolles Bindeglied gerade nach Mittel- und Südosteuropa.

Wahrscheinlich sind aber diese Überlegungen kurzfristig sowieso eher müßig - weil nämlich auch die EG-Größen sehr wohl verstanden haben, daß durch die Veränderungen im Osten und durch mögliche neue Beitritte ihr West- und ökonomie-orientiertes Europakonzept ins Wanken kommen könnte, und deshalb als unmittelbare Reaktion viel eher herausstreichen, daß die bisher bestehende Zwölfergemeinschaft fester und enger zusammengeschweißt werden soll und jede Erweiterung destabilisierend sein und den angestrebten Wirtschaftsriesen, der die Amerikaner und die Japaner das Fürchten lehrt, von innen her schwächen könnte. Deshalb haben die Österreicher wohl noch einige Jahre Zeit, sich im Wartezimmer darüber zu unterhalten, ob sie nun überhaupt wünschen, vorgelassen zu werden oder ob sie lieber den Warteraum verlassen sollen, bevor sie aufgerufen werden.
pro dialog