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Ach diese Deutschen, ach diese Grünen!

1.1.1994
Ach, diese Deutschen! Ach, diese Grünen! Ach, diese deutschen Grünen...! Aber wie sollte man Europa ohne sie zusammenbasteln?

Würden sie doch nur ihre Talente nicht gar so vergraben und ihr Licht nicht andauernd unter (selbstgefertigte) Scheffel stellen!

Diese Seufzer und dieses Sehnen bedürfen einer näheren Erklärung.

Zuerst eine Erinnerung. Als Südtiroler komme ich aus einem Land, das wahrlich seit Jahrzehnten genauer: seit der frühen Nazi-Zeit die Deutschen anhimmelt, trotz kräftiger österreichischer und habsburgischer Wurzeln seit ebenderselben Periode immer wieder aufs _Deutschtum_ pocht und in dem sich mindestens seit den späten Fünfzigerjahren viele deutsche Urlauber nach der Devise aufführen »hier bin ich Deutscher, hier darf ich's sein« wo also auch in Zeiten, als Deutsche im Ausland lieber Sack und Asche vorzeigten, unbefangen-stolz mit Wehrmachtsgeschichten geprahlt werden durfte und man der lokalen (aufs deutsche Volkstum so stolzen) Tageszeitung Leserbriefe schickte, in denen die »üdtiroler Grenzlanddeutschen zum Durchhalten aufgefordert wurden.

Das hat mich seit jeher gestört. Antifaschistische Familientradition, Abneigung gegen die zur Schau getragene Überlegenheit (»lassen Sie mich mal ran, das werden wir gleich haben!« und instinktives Ressentiment gegen die _Feriengäste_, die sich unbekümmert befugt glaubten, als selbstverständliche Stammesbrüder in unsere Intimität einzudringen, bildeten eine solide innere Abwehr.»Aber: als Kulturdeutscher aufzuwachsen, ohne sich unbedingt für ein deutsches Reich oder einen deutschen Staat verantwortlich fühlen zu müssen, und sich das Erbe deutscher Sprache und Überlieferung unter (damals) schwierigen Umständen anzueignen und zu bewahren, gab so etwas wie ein geläutertes deutsches Empfinden. Wo Sprache und Kultur nicht mit Staat, Flagge und Armee zu tun hatten und Bremen gleichermaßen nahe und fern, konkret und mythisch war wie Weimar oder Prag oder Königsberg oder der Vierwaldstätter See oder Schilda: das hatte eher mit den Stadtmusikanten oder dem Geheimrat Goethe, mit Mozarts Reise und Kants pünktlichen Spaziergängen, mit dem Schillerschen Apfelschützen Wilhelm Tell und mit den Schildbürgern zu tun, als mit Maas und Memel, Etsch und Elbe. Und da diese kultur-deutsche Beheimatung in einer Zeit stattfand, als Fernsehen und Bildzeitung noch kaum am Horizont zu erkennen waren, konnte man sich auch ohne allzugroße Schwierigkeiten in den Lesebüchern früherer Generationen zurechtfinden vor 1933, versteht sich.

Auf diesem Hintergrund konnte ich es zwar ganz gut verstehen, daß in den 60er und 70er Jahren die meisten jungen deutschen Linken Südtirol als eine Art braunen Flecken auf der Landkarte empfanden und entsprechend mieden doch dachte ich damals eben, das hätte bloß mit dem Generationenkonflikt zu tun: wo es ihren Eltern gefiel, die sich vielleicht im _Völkischen_ sonnten, konnten sie sich schon deshalb grundsätzlich nicht wohlfühlen. Deshalb nannten sie auch Bozen demonstrativ-hyperkorrekt _Bolzano_ und sprachen vom _Alto Atietsche_, wenn sie unser Land meinten. Urlaub machten sie lieber in der Toskana oder auf südlicheren Inseln. Uns ging dadurch wertvoller Umgang verloren: wer weiß, welche Anstöße wir von ihnen hätten bekommen können. Und wer weiß, ob sie vielleicht sogar von uns etwas gelernt hätten! Wir waren damals gegen die _Lederhosenkultur_ und den völkischen Mißbrauch von Heimat engagiert, hätten aber trotzdem weder auf Heimat noch auf Lederhosen einfach verzichten wollen.

Nicht unähnlich kamen mir später die jungen, linken und nicht-nationalistischen Deutschen überhaupt vor. Und seit es die Grünen gibt, haben sie dieses deutlich von der Vergangenheit abgehobene Erscheinungsbild noch um vieles pointiert und gesteigert und verkörpern neudeutsches Demokratentum sozusagen in Reinkultur. Sosehr, daß sie nicht wenig dazu beigetragen haben, das häßliche Bild der Deutschen in der Welt zu korrigieren eine _nationale Tat_, die ihnen ihre hämisch-behäbigen Mitbürger bisher noch nie anerkannt und gedankt haben.

Der Härte stellten sie Weichheit gegenüber, Uniformen und Gleichschritt verabscheuten sie, statt Überlegenheit schienen sie eher ein kaum wiedergutzumachendes Schuldbewußtsein zu empfinden. Von Übermenschentum keine Rede eher suchte man Menschlichkeit und Humanismus bei den Verfolgten, den Einwanderern, den Verachteten. Nicht auf die Jahre _beim Barras_ waren sie stolz, sondern auf ihre Zeit bei _Aktion Sühnezeichen_ oder im _Bauorden_. Der höchste europäische Prozentsatz an Wehrdienstverweigerern zeichnete sie aus, ein fest verankerter und herzlicher Internationalismus wurde von Jugendherbergen und Ferienlagern genährt. Ostermärsche, sit-ins gegen Raketen, eine hohe Sensibilität für Minderheiten jeder Art und ein tiefverwurzeltes »nie-wieder!rde, fand zu ebener Erde vor allem dort seinen Humus, wo eben auch die Grünen als Erneuerungsbewegung entstanden sind. Das Bemühen um den Frieden zwischen den Menschen und mit dem Rest der Natur und die Betonung der weiblichen Seite der Realität gehörten ebenso dazu wie der Einsatz für Ausländer oder Gefangene, neue kritische Medien-Information ebenso wie Film, Literatur und Kunst. Öko-Bank und alternatives Adreßbuch, umwelt- und sozialverträgliche Betriebe haben Schule gemacht, getrennte Müllsammlung und Wiederverwertung von Altpapier ebenso.

Mit den Grünen ist zum ersten Mal auf organisierte Weise eine neue Art, Deutsche zu sein, wahrnehmbar geworden. Was nicht wenig dazu beigetragen hat, das Erscheinungsbild dieses Volkes ganz wesentlich zu verbessern und in ganz Europa der politischen Ökologiebewegung auf die Beine geholfen hat. Ein Grund für die Deutschen und für die Europäer, den deutschen Grünen dankbar zu sein.

Umso weniger verständlich erschien manchmal der viele ideologische Ballast, mit dem diese segensreiche Wende in der Art, Deutsche zu sein, von den deutschen Grünen überfrachtet und damit für große Teile der Normalbevölkerung nicht mehr nachvollziehbar gemacht wurde. So schlug sich beispielsweise der neue Sinn für Weiblichkeit im pedantischen Festklopfen neuer Endungen (bis zur grotesken Verballhornung _Abgeordnet(inn)en_!) nieder, das neue und gewiß weit verbreitete Nord-Süd-Bewußtsein wurde durch nicht wenige ideologische Kontrollstellen gelotst, bis man ganz sicher sein konnte, daß keine blinden Passagiere etwa von _Brot für die Welt_ an Bord verblieben waren. Das Beharren auf einer Art _deutscher Ideologie_ als erbliche Veranlagung zu epischen Auseinandersetzungen oberhalb der Wolken hat bei den deutschen Grünen seltene Urständ' gefeiert. So kam es immer wieder, daß grüne Saat statt auf fruchtbaren, aber _gewöhnlichen_ Boden zu fallen und üppige Früchte zu tragen, nur im beschützten Treibhaus aufging. Schade genug!

Denn die deutschen Grünen hätten doch oft genug den besten und den einfühlsamsten Teil der Deutschen so glaubhaft und so überzeugend zum Ausdruck bringen können, daß dies in so manchen schwierigen, aber auch manchen Sternstunden vielen Menschen geholfen hätte, sich gut vertreten zu fühlen und einen gangbaren Weg vor sich zu sehen. Statt minderheitlichen Protestes hätten sie vielleicht mehrheitsfähige Alternativen aufzeigen können, wenn...

Ja, wenn... Beispiel: Deutschlands Neuvereinigung. Beispiel: Ausschreitungen gegen Ausländer. Beispiel: Maastricht und die europäische Integration.

Daß Kohls Hopp-Hopp-Anschluß der DDR viel Vergewaltigung in sich trug und mehr im Zeichen der DM als wiedergewonnener Demokratie stand, ließ sich schwer bestreiten und die vielen dadurch verursachten Wunden und Schäden sind längst allen deutlich geworden. Trotzdem: wer damals den tiefen Wunsch der meisten Ostdeutschen und wohl auch der meisten Westdeutschen nicht verstand und nicht teilte, sondern teilweise sogar diskreditierte, konnte nicht erwarten, bis ans Ohr und an das Herz der breiten Bevölkerung vorzustoßen und dort Gehör zu finden mochten die Propheten noch so recht haben. Das ideologische Erbe aus der Zeit des Kalten Krieges hatte die Grünen daran gehindert, ihre Kritik und ihre Alternativen von innen, sozusagen aus der Mitte des Volkes her zu entwickeln so war es nur allzuleicht vorauszusehen, daß sie unter die wirksame Fremdkörperabwehr fallen würden, wie es sich dann bei der Bundestagswahl 1991 und in den folgenden Jahren zeigte.

Gegenüber der neuen, schrecklichen Fremdenfeindlichkeit bis hin zum Marterpfahl von Mölln oder Solingen war die allerhöchste Stufe sozialen Alarms nur allzu gerechtfertigt. Die sofortige und eindeutige Reaktion, die nicht allein, aber gewiß höchst rele- vant von den deutschen Grünen kam, wird auch noch in späteren Jahrzehnten vor der Geschichte viel zur Ehrenrettung Deutschlands beitragen. Nur: ist das ideologische Postulat, allen Menschen, die das wünschen, in Deutschland Aufnahme und Gleichbehandlung zu sichern, wirklich gerechtfertigt und durchzuhalten? Und läuft man nicht Gefahr, durch die schlichte Proklamierung von Grundsätzen ohne Rücksicht auf Durchsetzbarkeit und Mehrheitsempfinden eher das Wasser auf die Mühlen derjenigen zu leiten, die im besten Falle feststellen, daß mit Träumen keine Politik zu machen sei? Eine konkretere Einwanderungspolitik mit Bedacht auf jene breiten Schichten der Bevölkerung, die zwar nicht bereit sind, einfach allen Ankömmlingen Tür und Tor zu öffnen, aber doch ein recht hohes Maß an Solidarität und Humanismus als unverzichtbar ansehen und dafür auch bereit sind, einen Preis zu zahlen, würde vielleicht grüne Saat fruchtbar aufgehen lassen und vor allem zur konkreten Meinungs- und Willensbildung in einer wichtigen historischen Stunde beitragen, statt bloß eine moralische Position für die Nachwelt zu Protokoll zu geben.

Mit Europa und Maastricht war es wohl ähnlich. Keine Partei und keine relevante gesellschaftliche Kraft in Deutschland hatte eigentlich die Position vertreten, der Maastrichter Unionsvertrag enthalte zuwenig Europa und immer noch zuviel Nationalstaat. Niemand hatte in der öffentlichen Debatte wirksam die Weiterentwicklung und den Umbau der EG zu einem tatsächlich gesamteuropäischen Föderationsfaktor gefordert. Die Position der Grünen wurde bei aller taktischen Nuancierung doch letztlich als das klassische grüne »Ja zu Europa, nein zur EG!Errore. L'origine riferimento non è stata trovata.n Union, die aber auf dem Boden einer grundsätzlichen und glaubhaften Mitwirkung am real stattfindenden europäischen Einigungsprozeß steht, von der breiten Öffentlichkeit nicht gerade bei den Grünen gesucht werden. Folge ist, daß das Terrain zwischen der sehr verschiedentlich begründeten und beileibe nicht immer friedenspolitisch wünschbaren EU-Ablehnung und der subalternen Akzeptanz der markt- und expansionsdominierten Maastrichter-Dynamik weiterhin unbesetzt bleibt und die deutschen Grünen wohl auch in Hinkunft von ihren Mitbürgern eben nicht als jene Hauptbetreiber einer demokratischen und friedensstiftenden Einigung Europas wahrgenommen werden, die sie eigentlich sein könnten.

Wenn man das Licht unter den Scheffel stellt, wie soll es dann leuchten? Allzuoft haben bisher die deutschen Grünen tiefes deutsches Selbstmißtrauen verkörpert. Aus großem Herzen und gutem Grund, kann man sagen, und gegenüber der weit verbreiteten Bereitschaft, zu vergessen oder es gar nochmals zu versuchen, mag eine gewisse Portion davon auch notwendig und heilsam sein.

Trotzdem: die Talente soll man nicht vergraben, sondern lieber nutzbar anlegen ja, sogar _damit wuchern_, steht in der Bibel. Die Talente der deutschen Grünen sind nach mehr als zehn Jahren organisierten politischen Daseins reif, aus dem engen Kreislauf der Alternativ-Wirtschaft auf die Plätze und Straßen des gemeinen Volkes und des alltäglichen Umgangs überzuschwappen. Der Wegfall übermäßiger ideologischer Verpackung sollte keine großen Tränen hervorrufen. Dem Volk aufs Maul zu schauen und die Botschaft dann so zu formulieren, daß sie Ohren und Herzen der Leute wirklich erreicht, kann auch der Botschaft nur nutzen.

Den deutschen Grünen und der ganzen grünen Bewegung in Europa würde ich wünschen, daß sie ihre Chance nutzen, vom Treibhaus auf den gemeinen Acker zu kommen.
pro dialog