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Die Toskana als wiege grüner Fundamentalisten

22.10.1989, für Michael Kadereith

  Wenn in Italien von grünen "Fundamentalisten" die Rede ist, denken Eingeweihte sofort an eine vornehmlich toskanische Spielart der italienischen Grünen. Gemeint sind nicht linksextreme Revolutionsprediger, die ihre antikapitalistische Kritik nun einfach auf die ökologische Schiene verfrachtet haben, sondern vielmehr die Vertreter eines traditionsreichen toskanischen Stranges, der eine beachtliche Ahnengalerie von Savonarola bis hin zu einer Wahlverwandtschaft etwa mit Ivan Illich für sich in Anspruch nimmt.

  Daß es diese "Fundamentalisten" mit der Tradition halten, ist schon äußerlich an einem ihrer Blätter zu erkennen. "Il Verde", Florentiner Monatszeitschrift der Grünen, schmückt sich auf dem Titelblatt mit dem Wappen des einstigen Großherzogtums Toskana und somit des Hauses Habsburg-Lothringen. Dasselbe Wappen ist in Florenz und in der ganzen Region immer öfter als Auto-Aufkleber oder als Anstecker zu sehen. Es gibt zu verstehen, daß man sich als Verfechter und Bewahrer toskanischer Eigenart betrachten möchte, denen der Einheitsstaat Italien und die vielen Zuwanderer, der übermäßige Fremdenverkehr und die Verwandlung der lokalen Kultur in Folklore am liebsten gestohlen bleiben könnte. Eine Flagge für Autonomie und stolze Selbstgenügsamkeit, unter der es nicht immer leicht ist, die Freude an der eigenen Besonderheit von der Verachtung für die anderen zu unterscheiden.

Soweit das nun nicht die nostalgischen Toskaner im allgemeinen, sondern die Grünen im besonderen betrifft, kann man ruhig sagen, daß sie nicht Privilegien für die eigene Region  damit einklagen wollen, sondern eher ihre Vision von einer Welt kleiner und autonomer Gemeinschaften, die imstande sind, sich materiell und kulturell selber zu versorgen und ihre Bedürfnisse so in Grenzen zu halten, daß sie mit dem auskommen, was sie aus Eigenem zu leisten vermögen, und deshalb gerade in der Zuwanderung fremder Menschen (aus Italien und dem Ausland, als Touristen oder als Immigranten) sozusagen die gerechte Strafe für den Verlust des rechten Maßes sehen: "die Menschen aus dem Süden der Erde folgen ihren geraubten Rohstoffen und Bodenschätzen nach", bzw. "wer alles in Geld verwandeln wollte, darf sich dann nicht über die grassierende Prostitution beklagen".

  Während sich anderswo die Grünen gern mit Öko-Technik und Kraft-Wärme-Koppelung befassen, gilt das Augenmerk dieser eigenartigen Toskaner beispielsweise der Wiederbelebung und neuerlichen Sinngebung des historischen Florentiner Fußballspiels, das auf der Piazza S.Croce zwischen den Mannschaften der vier traditionellen Stadtviertel oft recht rüde ausgetragen wird. "Den Stadtvierteln und ihren Bewohnern wieder eine Seele - d.h. Wurzeln und Gemeinschaftsgeist - geben ist wichtiger als das Herumprobieren mit Pseudo-Mitbestimmungsgremien", meinen die Leute von "Il Verde". und sind überzeugt, daß man auch die sogenannte Basisdemokratie - ebensowenig wie irgendetwas anderes sonst - aus der Retorte schaffen kann und soll, wenn man's damit ernst meint. Als angemessene Form demokratischen Zusammenschlusses sehen sie beispielsweise den Verbund der Anrainerfraktionen eines gemeinsamen Wasserlaufs, und so hat sich ihr wichtigster Vordenker Giannozzo Pucci - der selbst aus einem alten Adelsgeschlecht stammt und in größter Einfachheit und Armut lebt - auch prompt für die Grünen in ein Wasserverwaltungskonsortium wählen lassen, wo er versucht, den Gedanken einer umwelt-verträglichen und -verantwortungsbewußten Demokratie auf der Grundlage eines bescheidenen Wasserhaushalts auf die Probe zu stellen.

  Tradition im besten Sinne bemühen diese Grünen überhaupt gerne, und nicht selten mit ausgesprochenem Erfolg. Als seit Mitte der 80er Jahre ein gigantisches Stadterweiterungsprojekt mit Kapital des FIAT- und eines Versicherungskonzerns (Fondiaria) auf Florenz zukam und schon die Unterstützung aller relevanten Instanzen und auch der großen Parteien (insbesondere der Sozialisten, Christdemokraten und Kommunisten) gewonnen hatte, gab es von grüner Seite eine unablässige und penetrante Wühlarbeit, um die Kräfte des städtischen "Heimatschutzes" zu aktivieren, wobei man sich auch nicht scheute, sich an die internationale Aristokratie bis hin zum Prinzen Charles von Wales zu wenden, um das Kleinod Florenz vor Verunstaltung zu bewahren. Schlußéndlich kam nach dem grünen Wahlerfolg bei der Europawahl 1989 die plötzliche Wende: die Kommunisten entschieden sich für einen demonstrativen ökologischen Akt und entzogen in der Stadtregierung nach persönlichem Einschreiten des Parteichefs Occhetto dem Großprojekt ihre Unterstützung, wodurch es zumindest vorerst gescheitert ist.

Den Florentiner Traditionsgrünen, denen gerne eine gewisse Schwäche für Bündnisse mit Konservativen nachgesagt wird, war diese fruchtbringende Allianz mit den Roten hochwillkommen, sosehr sie andere Male gerade im linken Fortschrittswahn eine wesentliche Ursache für das rastlose Bauen identifiziert hatten.

Auch sonst polemisieren sie gerne gegen die "Selbstverständlichkeiten der Linken", die so selbstverständlich gar nicht sind: beispielweise gegen den Begriff eines "fortschrittlichen Lagers", in dem sozusagen automatisch auch die Grünen siedeln sollten, oder gegen die a-priori-Anhimmelung von "Reformen" im allgemeinen. Dabei nehmen sie vor allem solche Gestalten insbesondere der Florentiner und Toskaner Überlieferung in Anspruch, die - auch in der jüngeren Vergangenheit - eben jene Selbstverständlichkeiten durcheinandergebracht hatten. So beispielweise der "heiligmäßige Bürgermeister" Giorgio La Pira, Christdemokrat der 50er und 60er Jahre, der die einschneidendsten sozialen Maßnahmen getroffen hatte - vom Wohnbau für Obdachlose bis hin zur Beschlagnahme einer Fabrik, deren Schließung Massenentlassungen mit sich gebracht hätte, oder der von seinem Bischof ins ausgestorbene Bergdorf Barbiana verbannte Priester Don Lorenzo Milani ("Die Schülerschule"!), der als Kommunistenfreund galt, aber in Wirklichkeit sein ganzes Leben lang gegen die seelische Wüste des Kommunismus angekämpft hatte, wie er sie verstand. Unter den Hausheiligen, auf die sich diese Grünen gerne beziehen, sind natürlich nicht die Katastrophenpropheten des "World-Watch-Institute" oder des "Club-of-Rome" und schon gar nicht die Öko-Ober-Planer des Brundlandt-Reports zu finden, sondern vielmehr ein Mahatma Gandhi, Lev Tolstoj oder etwa Lanza del Vasto, ein italienischer katholischer und aristokratischer Prophet der Gewaltfreiheit, oder dessen konfessionsloses, linkes Gegenstück Aldo Capitini.

Vor allem in der Landwirtschaft und in der Ausrichtung auf ländliches Leben und Wirken liegt der Schwerpunkt dieser grünen Konzeption, die gewiß nicht den Teufel des Umweltnotstandes durch den Beelzebub der immer komplizierteren Öko-Technologie austreiben will, sondern vielmehr die Rückkehr zur Einfachheit auf ihre Fahnen geschrieben hat. Blätter wie "aam-terra nuova" (alimentazione-agricoltura-medicina: Ernährung, Landbau und Heilkunde für eine neue Erde) in Scarperia (Mugello), "tra cielo e terra" (zwischen Himmel und Erde) in Viareggio oder "Quaderni di Ontignano" (Hefte von Ontignano, eine kleine Fraktion von Fiesole) sind die informellen Sprachrohre dieser Bewegung, eine alljährliche "fierucola" (kleiner Jahrmarkt) am ersten Wochenende im September auf der Piazza Santissima Annunziata in Florenz, einfache Landkommunen in S.Gimignano, Alpe di S.Benedetto oder auf der "montagnola senese", Tagungen über die Wiederbelebung ländlicher Traditionen und Lebensformen ihre geistigen und konkreten Treffpunkte. Von den gemeinen Nutzungsrechten der Allmende hält man mehr als von Ökoberatern.

Ein grüner Fundamentalismus, der auch über seine besondere und bewußt in Anspruch genommene toskanische Eigenart hinaus eine kontroverse, aber wichtige Ausstrahlung auf den "arcipelago verde", auf Italiens grünen Archipel ausübt.

 

Alexander Langer

pro dialog