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Über Staat und Kirche

1.11.1966, Aus: skolast Nr. 7-8, Offenes Wort November
Ein Problem, das sich seit Bestehen des Christentums (und vorher auch schon für andere Religionen) stellte und Christen und Nichtchristen zu großen Auseinandersetzungen Anlaß gab, ist die Frage der Beziehung zwischen Staat und Kirche, also zwischen bürgerlicher und kirchlich-religiöser Ordnung. Im Laufe der menschlichen Geschichte und auch in unserer Zeit wurde die Frage verschieden gelöst: manchmal hing die Verschiedenheit der Lösung von einer objektiven Verschiedenheit der Zeitverhältnisse ab (man denke z. B. an die Kirche vor und nach Konstantin: hier handelte es sich offensichtlich um eine geschichtlich bedingte Veränderung), manchmal jedoch auch von einer Verschiedenheit der Auffassung, wie diese Beziehung am besten zu regeln sei. Dazu muß noch gesagt werden, daß vom Staat aus dieses Problem natürlich auch von einem reinen Standpunkt der "Nützlichkeit" oder Konvenienz geregelt werden kann, während es für die Kirche Gottes niemals zulässig ist, sich von Nützlichkeits- oder Opportunitätserwägungen leiten zu lassen; vielmehr muß die Kirche stets sich nach dem ausrichten, was sie dem Willen Gottes am meisten entsprechend erachtet (natürlich ist auch diese Erwägung vielfach zeitgebunden).

Voraussetzung zu einer Diskussion

Wenden wir uns mit einer ersten Untersuchung den Aufgaben zu, die Staat und Kirche verfolgen. In grober Annäherung (dies kann ja nur ein Abriß des Problems sein) können wir sagen, daß es Aufgabe des Staates ist, das Gemeinwohl der Bürger und das Wohl der einzelnen Personen zu sichern, zu fördern und zu gewährleisten. Diese Aufgabe steht jedem Staat vermöge seines Wesens zu.

Die Kirche hingegen hat kraft göttlichen Auftrages die Aufgabe, den Menschen die Heilsbotschaft vom Himmelreich zu bringen und sie den Weg zur Heiligkeit zu führen. Diesen Auftrag muß sie mit allen ihr zustehenden und billigen Mitteln durchzuführen trachten.

Vielleicht mag bei dieser ersten Annäherung das Problem etwas gar zu einfach scheinen: es sieht so aus, als hätten wir eben zwei verschiedene Aufgabenbereiche für zwei verschiedene Einrichtungen; in Wirklichkeit aber stellen wir f3st, daß diese beiden Einrichtungen in vielen Punkten aufeinandertreffen und auch zusammenstoßen können. Vor allem ist das "Objekt" gemeinsam: der Mensch. Dann kann es Bereiche geben, in denen Staat und Kirche verschiedene Auffassungen vom Wohl dieses Menschen haben, d. h. der Staat verfolgt ein "Wohl", das die Kirche als schädlich oder hemmend für ihren Auftrag ansieht. Schließlich gibt es Zuständigkeiten, die Staat und Kirche je für sich beanspruchen (z. B. Ehe, Familie, Gesellschaftsordnung ...). Aus dieser Lage ergeben sich mögliche Konflikte und deshalb die Notwendigkeit einer diesbezüglichen Überlegung.

Mögliche Lösungen

Theoretisch lassen sich nun verschiedene Lösungen erdenken, von denen die meisten auch irgendwann einmal praktische Ausführung gefunden haben. Im folgenden beschränken wir uns auf die wichtigsten denkbaren Möglichkeiten.

Oft hat sich in Vergangenheit und Gegenwart das Problem Kirche-Staat faktisch so ausgewirkt, daß eine dieser beiden Ordnungen Vorherrschaft beanspruchte und oft auch erhielt. So ist denkbar (und auch praktisch vorgekommen), daß der Staat die Kirche bekämpft und bedroht und sich zu diesem Zweck seiner Machtmittel bedient, und daß umgekehrt die Kirche in derselben Weise reagiert und auf den Staat Druck ausübt. Natürlich ist es in diesem Fall nur eine Frage der Stärke und der zeitlichen Macht: wer stärker ist, wird siegen (vielleicht setzt sich der Gegner gar nicht zur Wehr, sondern willigt ein, siehe nächste Möglichkeit). Daß eine solche "Kraftlösung" für die Kirche unannehmbar ist, liegt auf der Hand.

Auch in einer zweiten denkbaren Lösung wird sich das Problem meistens irgendwie auf eine Kraftprobe verlagern, wenn auch weniger kraß: von Kirche und Staat wird sich die eine Institution der anderen mehr oder weniger anpassen, wobei eine der beiden vorherrschend blieben kann (Theokratie, Klerikalismus, Cäsaropapismus, Staatskirchentum) oder auch ein Ausgleich gefunden wird, der nicht notwendig Folge einer "gewaltsamen" Auseinandersetzung sein muß (auch wenn er oft das Ergebnis einer Kraftprobe darstellt). Diese letzte Lösung nennt man Konkordat und findet heute in vielen Staaten (darunter auch Italien) Anwendung.

Eine dritte Lösung ließe sich noch finden: die der gegenseitigen "Nichtbeachtung und Nichteinmischung", d. h. eine formale und inhaltliche Trennung der beiden Gewalten, die einander zwar respektieren und in gewissen gemeinsamen Bereichen auch zusammenarbeiten können, aber wesentlich voneinander geschieden sind.

Was bedeutet der Staat für die Kirche und die Kirche für den Staat?

Bevor wir diesen objektiven Teil der Darstellung abschließen und von der bisherigen Erwägung abweiche, um unsere Entscheidung für eine der aufgezeigten Lösungen zu treffen, müssen wir noch eine Frage beantworten, nämlich nach der gegenseitigen Bedeutung des Staates für die Kirche und der Kirche für den Staat.

In der Beantwortung diese Frage, wie überhaupt des ganzen Problems, hilft und die Pastoralkonstitution über die "Kirche in der Welt von heute" (Schema XIII) des Konzils einen großen Schritt weiter (siehe den ganzen I. Teil und besonders das IV. Kapitel des II. Teils): Die Kirche kann dem Staat aus dem unermeßlichen Gut ihres Glaubens, ihrer Lehre und ihrer Liebe eine Hilfe und eine Orientierung in der Suche nach dem wahren Wohl des Menschen sein, sie kann immer wieder durch ihre zeugnisgebende Gegenwart den Staat an die letzten und höchsten Werte des Menschen erinnern, die von Gott gegeben sind. - Umgekehrt kann der Staat durch seine Tätigkeit, die natürlich auch den Christen, so wie lallen anderen Bürgern, zugute kommt, der Kirche jene Voraussetzungen zeitlicher Natur gewährleisten, deren die Kirche zur Ausübung ihrer Sendung bedarf (vgl. bes. §§ 41 - 44 Gaudium et Spes).

Welches ist die beste Lösung?

Bis hierher die Darstellung: nun möchte ich versuche, eine Antwort zu geben, die notwendigerweise persönlich ist.

Ich bin der Ansicht, daß in der Gesellschaft unserer Zeit, die pluralistischc (d. h. offen, vielfältig, mit Platz für alle Meinungen und Anschauungen unter Wahrung der Demokratie und Achtung der Persönlichkeit) bestimmt und gegliedert ist, die dritte der oben angeführten Lösungen die einzig richtige ist (zumindest vom Standpunkt des Christen aus). Ich halte diese dritte Lösung der gegenseitigen Nichteinmischung für begrüßenswert, nicht nur für das "kleiner Übel", ebenso wie ich in der pluralistischen Gesellschaft einen Wert sehe, über den der Christ sich freuen muß (= müßte!). - Wahrscheinlich wird man mir nun warnend vorhalten, daß ich ja "ganz liberal" denke und nach Begründung fragen.

Zuerst zum "liberal": leider hat die Kirche nicht immer die Zeichen der Zeit verstanden und sich so in der Geschichte häufig von ihren Gegnern überholen lassen (außerdem bin ich nicht überzeugt, daß die "liberalen" Gegner des vorigen Jahrhunderts immer wirklich jene Sicht vertraten, für die ich hier eintrete. Trennung von Kirche und Staat heißt nicht Antiklerikalismus oder "Laizismus", die Kirche darf aber auch nie Klerikalismus und "Integralismus" vertreten).

Zur Begründung: vor allem lese man Schema XIII, § 76. Darin ist das meiste schon gesagt. Kurz zusammenfassend sind dies meine Gründe: echte religiöse Freiheit und Gewissensfreiheit kann nur in einer wirklich pluratistischen Gesellschaft gesichert werden; die Kirche schadet sich sehr, wenn sie sich mit zeitlichen Mächten verbündet oder auch nur abspricht und einigt (man denke an das Konkordat mit Hitler und Mussolini); die Kirche braucht Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat, um ihre Aufgabe voll wahrnehmen zu können; der Staat darf nicht konfessionell sein, sondern muß wesentlich "laikal" ausgerichtet sein, um für alle Menschen Platz zu lassen, er darf nicht die Kirche zu seinem Vormund ernennen; nur wenn die Kirche in keiner Weise an den Staat gebunden ist, hat sie auch das moralische Recht, dem Staate gegenüber - und jeder weltlichen Macht gegenüber - jene prophetische rolle zu spielen, die ihr zu eigen ist: nur dann kann sie den Staat anklagen, wenn er gegen Menschenwürde und göttliches Gesetz verstoßt und ihn immer wieder an seine Sendung mahnen. Man denke auch hier an die jüngste Vergangenheit! Darum spreche ich mich für die Trennung von Kirche und Staat aus, unter Wahrung und Achtung der gegenseitigen Unabhängigkeit und des Rechtes auf Nichteinmischung, unter Wahrung und Achtung der gegenseitigen Rechte, doch ohne jedes Privileg.

Vollständige Trennung von Religion und politischer Tätigkeit?

In diesem Aufsatz ist es nicht möglich, das Thema ausführlicher zu behandeln, doch werden einige Linien aufgezeigt, nach denen sich eine Diskussion richten kann.

Zum Schluß stellt sich aber noch die Frage, ob nun geistliche und weltliche Ordnung vollständig getrennt sind (womit der "Laizismus" recht hätte): darauf kann die Antwort nur angedeutet werden. Jede Trennung, die zwischen den beiden Institutionen notwendig vorgenommen werden muß, muß ebenso notwendigerweise im einzelnen Christen zu einer neuen Synthese finden: der einzelne Christ muß in persönlicher Entscheidung und Übereinstimmung mit seinem Gewissen in jenen weltlichen Bereichen gegenwärtig sein, in denen es die Kirche als solche nicht sein kann und nicht sein soll.
pro dialog