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Hirten und Schafe

1.5.1968, Aus: die brücke Nr. 5
KIRCHE/Wahlen: Ein Kommentar zur "politischen Erklärung" der italienischen Bischofskonferenz

Im Jänner erschienen zwei feierliche Erklärungen der italienischen Bischöfe: eine über das kirchliche Lehramt und die Theologie (von Kardinal Urbani von Venedig, Präsident der italienischen Bischofskonferenz, unterzeichnet) und eine über "Die Christen und das öffentliche Leben" (in den italienischen katholischen Tageszeitungen am 23. Jänner veröffentlicht, von den "Bischöfen Italiens" unterzeichnet).

Da die Aufmerksamkeit der italienischen öffentlichen Meinung damals vor allem durch das Erdbeben in Sizilien in Bann gehalten wurde, schenkte man den beiden Erklärungen zuerst nicht die angemessene Bedeutung. Doch bald schon setzte die Diskussion besonders über das zweite der beiden Dokumente ein.

Darin werden kurz die Erklärungen des Konzils über politisches Gemeinschaftsleben zusammengefaßt und wiederholt. Bezüglich der Beziehungen zwischen Staat und Kirche wird die gegenseitige Selbständigkeit und Unabhängigkeit betont und die Verschiedenheit der Befugnisse beider Gemeinschaften unterstrichen. Die Aufgabe der Kirche wird klarer herausgearbeitet, nämlich innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft "Zeichen und Gewähr für die Transzendenz der menschlichen Persönlichkeit zu sein" und die Heilsbotschaft zu verkünden. Zugleich wird der "Profancharakter" des Staates noch einmal festgestellt: der Staat ist eine auf eigene und rechtmäßige Werte gegründete Gemeinschaft mit ganz bestimmten und ihm zutiefst eigenen Aufgaben.

Der zweite Teil der Erklärung handelt von der Pflicht der Christen, am politischen Gemeinschaftsleben aktiv und verantwortungsbewußt teilzunehmen, ohne kirchliche Rückendeckung für ihre Meinung in Anspruch zu nehmen .Besonders wird die Größe und Wichtigkeit der politischen Arbeit für das Gemeinwohl hervorgehoben, die deshalb eine ganz besondere Hingabe, außerordentliche Integrität und hervorragende Fachkompetenz erfordere.

Im dritten Teil schließlich wird auf die gegenwärtige politisch-geschichtliche Lage Italiens eingegangen, und zwar im besonderen auf die sogenannte Frage der "Einheit der Katholiken im politischen Handeln". Dazu erklärt das Bischofsdokument, dass die Einheit der Katholiken im Glauben, in der Eucharistie, in der Liebe, in der Kirche usw. stets notwendig sei, sich aber auch in der Förderung und Verteidigung der grundlegenden menschlichen und religiösen Werte äußern müsse, obwohl in diesen Fällen die Handlungseinheit nach Zeit und Umständen verschiedene Formen annehmen könne. In den übrigen zeitlichen Frage könne sich aber durchaus eine rechtmäßige Verschiedenheit in den Entscheidungen der einzelnen Christen ergeben, wenn sich auch oft von selbst ein freiwilliges Zusammengehen bezüglich bestimmter Probleme herausbilde. Dazu noch bedürften einige Aspekte des Gemeinwohls einer besonders intensiven und gemeinschaftlichen Förderung und Wahrung von seiten der Katholiken, so etwa der Schutz und die Hebung des Familienlebens, die Freiheit der Kirche, die Verwirklichung des Friedens, usw. (vgl. "Gaudium et Spes").

In der gegenwärtigen Lage Italiens seien sich die Bischöfe bewußt, dass das Problem der "Einheit oder des Pluralismus in der (sic!) politischen Partei" besonders schwerwiegend und aktuell sei: die Auseinandersetzung darüber hat seit dem Konzil besonders lebhaft eingesetzt. In der bischöflichen Erklärung wird die Frage sehr vorsichtig angegangen: die politische Einheit der Katholiken in einer Partei sei zwar religiös nicht unbedingt zu motivieren, sie jedoch heute leichtfertig aufzugeben, sei zumindest sehr gut zu überlegen. Noch immer sei die Drohung eines totalitären und atheistischen Staates nicht geschwunden, die Möglichkeit der Einführung der Ehescheidung und die noch nicht gänzlich überwundene Gefahren für die Freiheit der Kirche, sowie die stark ideologisch gefärbte Einstellung aller politischen Parteien lasse es zumindest ratsam erscheinen, nur im äußersten Fall auf das Gut der politischen Handlungseinheit - praktische also der "katholischen Partei" - zu verzichten.

Diese Erklärung wurde von den Bischöfen nach ziemlich bewegten Auseinandersetzungen (durch schriftliche Konsultationen) verabschiedet. Einige italienische Bischöfe waren überhaupt dagegen, in einem Wahljahr zu diesem Thema Stellung zu nehmen, um auch dadurch das konziläre Umdenken unter Beweis zu stellen. Andere hingegen wollten noch einmal die Notwendigkeit hervorheben, alle Katholiken zur einheitlichen Stimmabgabe für die DC ("eine christliche und demokratische Partei") aufzufordern. Schließlich fand sich eine Kompromißlösung, die sich im hier besprochenen Dokument ausdrückte: eine vorwiegend grundsätzlich gehaltene Erklärung, die letztlich in so mancher Richtung ausgelegt werden konnte.

Ein Wahlaufruf?

Und dies ist tatsächlich geschehen: wenn man angesichts des Dokumentes zuerst angenehm überrascht war, dass heuer anstelle des üblichen Wahlkommuniqués kurz vor der Stimmabgabe (wobei der politische Wahlakt fast zu einem Glaubensbekenntnis umgestaltet wurde) mit größerem Abstand ein immerhin großzügigeres und pastoraleres Dokument verfaßt wurde, belehrte einen der "Osservatore Romano" (mehrfach, besonders in der ersten Februarhälfte) und die Bischofskonferenz (Urbani, Castellano, Verlautbarung vom 23. Februar) eines besseren: die "Einheit" (!) der Katholiken in politicis sei ein immer noch erstrebenswertes Gut, vor allem zur Abwehr der Scheidungsgefahr, zur Wahrung einer Außenpolitik des Friedens, zur Erhaltung der Freiheit der Kirche, zur Verteidigung der Familie und zum Kampf gegen moralischen Verfall im öffentlichen Leben und schließlich, um den laizistischen Tendenzen einen angemessenen Widerstand entgegenzusetzen.

Auf der anderen Seite mehren sich die Tagungen, Zeitungsartikel und Erklärungen, in denen politisch engagierte Katholiken gegen die Aussagen der Bischöfe Stellung nehmen, wobei abwechselnd theologische und politische Argumente (manchmal beides) vorgebracht werden.

Ein Urteil darüber? Der erste und zweite Teil des Dokumentes scheint uns im ganzen positiv zu bewerten. Sicherlich gäbe es Mängel zu vermerken, z. B. die zu wenig biblische und zu komplizierte Ausdrucksweise, die übermäßige Sorge um einen Ausgleich der verschiedenen Meinungen, die allzu leichte ganz entgegengesetzte Interpretationen möglich macht, und dgl. Besonders unkonsequent scheint es, wenn einerseits die gegenseitige Unabhängigkeit von Staat und Kirche und der Profancharakter des Staates hervorgehoben wird, andererseits aber bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten das Konkordat gelobt und gepriesen wird, das die Freiheit der Kirche in einer zumindest sehr eigenartigen Weise garantiert (es wurde ja nicht zufällig gerade mit Mussolini abgeschlossen).

Der fragwürdigste Teil der Erklärung aber ist zweifellos der dritte. Wenn man schon angesichts der eher allgemeinen Äußerungen die Erklärung als positiven, konziliären Fortschritt begrüßen und darin einen vielleicht entscheidenden Schritt der Kirche Italiens zur "politischen Abrüstung sehen konnte, so rauben einem bestimmte Aussagen des dritten Abschnittes und die gewichtige, autoritative Deutung des "Osservatore" und der Bischofskonferenz diese Illusion. Fast kommt man zur traurigen Feststellung, dass sich zwar die Form bedeutend geändert, die Substanz aber doch kaum Fortschritte gemacht hat. Aber kann es die Kirche Italiens verantworten, auf dem Altar einer weiteren Fünfjahresperiode unter den Auspizien der DC die Freiheit der Kinder Gottes und die Konzilserkenntnisse einfach zu opfern?

Unseres Erachtens hätten die Bischöfe am besten daran getan, diesmal zu schwiegen und der Gewissensfreiheit des einzelnen die politische Entscheidung zu überlassen. Nicht dass sie von der Glaubensüberzeugung zu trennen wäre! Aber so einfach scheinen dann die eindeutigen Ableitungen vom Glauben zur Tagespolitik doch nicht zu sein. Wer sagt, ob man den internationalen Frieden im christliche Sinn besser verteidigt, indem man z. b. in Italien liberal, christlichdemokratisch, sozialistisch oder kommunistisch wählt (vgl. die Haltungen dieser Parteien zum Vietnamkrieg, zur NATO, usw.)?

Da sie aber nun einmal nicht geschwiegen haben, müssen wir noch im einzelnen auf einige Erklärungen des Dokumentes eingehe.

Vor allem werden einige vorwiegend politische Argumente gebraucht, mit denen man einverstanden sein kann oder nicht (z. B. über die tatsächliche Gefahr eines atheistische Staates in Italien, über die tatsächliche Positivität der politischen Vergangenheit der christlichdemokratischen Politik, über die scheinbaren oder wirklichen Gefahren für die Freiheit der Kirche, usw.). In solchen Fragen darf sich jeder Bürger und jeder Gläubige ein ebenso kompetentes Urteil anmaßen, wie es die Bischöfe haben können. Somit kann den vorgebrachten politischen Urteilen keinerlei Verbindlichkeit zugesprochen werden.

Ferner scheint eine Kritik an der Methode angebracht: die von den Bischöfen gewählten Schwerpunkte der Politik, nach denen sich die Einheitlichkeit der Katholiken bilden oder nicht bilden sollte, sind moralisch und politisch unzuverlässig. Man kann doch nicht im Ernst beanspruchen, die "christliche" Gültigkeit einer Politik vor allem nach ihrer Orientierung bezüglich Familie, Freiheit der Kirche, öffentlicher Moral (früher zählte noch die private Konfessionsschule zu diesem Katalog) zu bemessen!

Es erübrigt sich, im einzelnen zu diskutieren, ob die von den Bischöfen getroffenen politischen Behauptungen zutreffen oder als Fehlurteile zu werten sind: so wie jeder Gläubige frei ist, seine politische Meinung zu haben, so sind auch die Bischöfe frei, sie zu haben.

Es ist nur ungünstig, wenn Bischöfe sie in derart feierlicher Form und als pastorales Dokument äußern: dadurch wird in den Gläubigen Verwirrung gestiftet, da sich nicht leicht unterschieden läßt, wo das Hirtenamt aufhört und die Meinung des Privatmannes anfängt. Umso mehr als der Privatmann in diesem Fall allzuleicht eine religiöse Autorität auf politischem Gebiet geltend machen könnte.

Für uns ist jedoch die Grenze klar: die politische Privatmeinung eines oder mehrerer Bischöfe verdient denselben Respekt und dieselbe Behandlung, wie die politische Meinung eines jeden Bürgers. Als verpflichtend kann sie natürlich nicht gelten.

Noch wissen wir nicht, in welcher Form sich das Problem in Südtirol stellen wird: wir hoffen, dass derartige Erwägungen in Südtirol unaktuell bleiben und dass nicht neben einem nationalen Mythos noch ein religiöser auf einer rein politischen Entscheidung lasten möge; vielleicht kann es uns erspart bleiben, wieder einmal ein "weltanschauliches" Gespenst zu beschwören, um ein politisches Vakuum zu verdecken. Weltanschauung ist mit dem christlichen Glauben nicht identisch, und Politik einer bestimmten Partei schon gar nicht.

Kein religiöser Vorwand darf deshalb bei den nächsten Wahlen irgend jemanden dazu verleiten, etwa das "Edelweiß" oder den "Scudo crociato" (DC) anzukreuzen: wenn diese Parteien Stimmen verdienen wollen, haben sie sich - wie alle anderen - durch politische Verdienste auszuweisen.
pro dialog