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Gedanken über das Buch Jonas

5.4.1991

Die Bekehrung des Propheten - die Bekehrung der Stadt
(so hieß das Thema, das im Rahmen eines Jonas-Zyklus' Alexander Langer aufgetragen worden war)

1. Jonas ist ein "Prophet wider Willen", der erst mit großer Mühe überzeugt werden muß, die Botschaft, die ihm anvertraut ist, auch wirklich dorthin zu tragen, wo er sie verkünden soll.

Denken wir bloß an die enormen Schwierigkeiten all jener, die überzeugt sind, wichtige und notwendige Erkenntnisse gewonnen zu haben, doch Angst davor verspüren, eine unpopuläre Botschaft zu verbreiten, die keine Pfründen und Vorteile verspricht, sondern sich eher gegen den Strom richtet und tiefgreifende Veränderungen fordert.

Wenn wir uns dagegen so manche selbsternannte Propheten unserer Gesellschaft anschauen - es gibt sie auch in unserer Stadt, kein Zweifel! - die sich auch durch Bluff und Lüge als solche anpreisen, könnte einem übel werden. Die Wahlwerbung, beispielsweise, macht im allgemeinen nicht den Eindruck, Propheten vorzustellen, und was in den Chroniken der Presse steht, riecht auch nicht gerade nach Wahrhaftigkeit oder nach wichtiger Botschaft. Die Stadt hat Hunger nach Wahrhaftigkeit, nach Propheten, deren Botschaft wichtiger ist als die Person, die sie überbringt. Wie oft verhindern die "Propheten" durch ihre Person, ihre Eigeninteressen, ihre Nachgiebigkeit und Demagogie die Aufnahme wichtiger und vielleicht wahrhaftiger Botschaften! Wie kommt es, daß wir jedesmal, wenn wir in der Presse Dinge lesen, die wir direkt miterlebt haben, uns ein Gefühl der Falschheit und der Verärgerung beschleicht? Und warum so wenig Rücksicht auf Gefühle, auf Intimes, auf Wahrheit?

(Übrigens: Jonas war nach Ninive bestimmt - eine Stadt, die genau mitten in jenem Gebiet liegt, auf dem heute die Kurden verzweifelt um ihr Überleben kämpfen. Man kann heute nicht von Jonas und von Ninive sprechen, ohne an die gegenwärtigen Bewohner jender Region zu denken und brüderliche Solidarität zu verspüren.)

2. Die Stadt Ninive ergreift ihre Maßnahmen, um der Botschaft des Propheten zu gehorchen: es wird gefastet, "ein jeder bekehre sich von seinem üblen Tun und vom Unrecht, das an seinen Händen klebt". Die Tiere, Geschwister der Menschen, nehmen am Fasten teil. Der "Befehl des Königs" zeigt, daß die Bekehrung der Einzelnen nicht genügt - es muß sich auch an den Regeln und Gesetzen der Stadt etwas ändern, um eine neue Richtung einzuschlagen.

Wieviele Tschernobyl, wieviele Golfbrände, wieviele Kriege, wieviele Attentate, wieviel Abholzung, wieviele Katastrophenprognosen brauchen wir noch, um unsererseits unsere Maßnahmen zu treffen und mit dem Fasten zu beginnen?

Das Fasten könnte überhaupt eine wirksame Zusammenfassung der ökologischen Botschaft in sich bergen: ökologische Konversion, Wende zum ökologischen Maß bedeutet nämlich, im schrankenlosen Rennen in Richtung Profit, Wachstum, wirtschaftlicher Expansion, Energie- und Lebensmittelverschwendung, Übermotorisierung, Abfallberg und dergleichen einzuhalten und sich selbst zu beschränken. Mit wenig besser leben ist möglich, dringend und notwendig. Auch in Bozen.

3. Jonas, der Katastrophenprophet, macht fast den Eindruck, er sei enttäuscht, daß die Katastrophe dann nicht eintritt, und rechtet mit Gott ("mußte ich wirklich zu diesem Auftrag gezwungen werden, wo ich doch wußte, daß es gar nicht so dick kommen würde...?" scheint er zu sagen)

Heute sind die meisten Studien und Prognosen im Umweltbereich richtiggehende Unheilsprophezeiungen - vom "Worldwatch Institute-Bericht" bis zu den Aussagen des WWF oder Greenpeace zum Ozonloch, Treibhauseffekt, Klimasturz usw. Manchmal ist es gar nicht so gut, die Menschen durch Katastrophenprognosen zu erschrecken oder gar zu lähmen: nicht immer wird dadurch ein Verhaltenswechsel gefördert, das kann auch zu Resignation führen. Besser ist es, Wege zur Konversion aufzuzeigen, gerade auch, damit nicht eine Mentalität der Verzweiflung einreißt - etwa "nach uns die Sintflut", "es ist sowieso alles unnütz, das Rennen ist schon verloren", "auch wenn ich nicht verschmutze, tun es dennoch alle anderen.."

Ökologische Konversion bedeutet etwas sehr Konkretes. Beispiele kann's zahllose geben, in den verschiedensten Bereichen: von den sanfteren Waschmitteln bis zum Autoverzicht, von der systematischen Mülltrennung (um die Erde vor unnötiger Belastung freizhalten) bis zum Energiesparen. Da braucht es sicher viele einzelne Änderungen und Verhaltensweisen, aber auch "Befehle des Königs".

In unserer Stadt ist noch eine weitere Konversion angesagt: die "Umkehr zum Zusammenleben". Noch immer ist die Stadt zusehr gespalten und zerteilt, wo gibt es schon gemeinsame Treffpunkte, Veranstaltungen, Einrichtungen für Menschen aller Sprachen, ohne ungutes Gefühl der Fremdheit und des Ausgeschlossenseins? Das sind immer noch Ausnahmen.

4. Der Rizinusstrauch, der den Kopf des Propheten vor Sonnenbrand bewahrt, verdorrt ebenso schnell, wie er gewachsen war. Völlig unverdient wächst und vergeht er.

Wir brauchen unverdiente und kostenlose Erlebnismöglichkeiten in unserer Stadt, wo nicht das Gesetz des Geldes, des Handels, des Warentausches gelten. Denken wir nur, wie die Leute die Talferwiesen schätzen, oder die kostenlosen Fahrräder der Gemeinde. In einer Gesellschaft, wo alles sich in Ware und Geld verwandelt und Reichtum über Lebensqualität zu entscheiden scheint, muß das "Kostenlose" und das "Unverdiente" wieder Platz finden: Dinge und Möglichkeiten, die man einfach in Anspruch nehmen kann (zum Essen, zum Übernachten, zum Benutzen, zur Kleidung..), ohne kaufen und verkaufen zu müssen, ohne Geld haben zu müssen.

(Bozen, in der Regina-Pacis-Kirche, Freitag 5. April 1991, zu Gast bei Bischof Wilhelm Egger und der Pfarrgemeinde)

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