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Urchristentum wird modern

1.4.1963, Offenes Wort April 1963
Es ist heute bereits in vielen Gebieten des Christentums, und besonders des katholischen Christentums, die Tendenz zu bemerken, sich immer mehr der Urkirche zu nähern. Zweck des folgenden Aufsatzes soll es sein, zu untersuchen, wo wir heute stehen, ob es uns gelingt, zur Urkirche zurückzufinden, und ob das gut und zeitgemäß ist.

Schon äußerlich fällt es uns auf, daß wir modernen Menschen innerhalb der christlichen Architektur Einrichtungen kennenlernen, ja sozusagen neu- und wiederentdecken, die längst dem Bewußtsein der Gläubigen entfallen sind: der Altar wird oft dem Volke zugekehrt, man errichtet nach altchristlichem Brauche wieder Ambonen (Lesepulte), man baut die Kirchen so, daß der Altar überall gut sichtbar ist, damit die Gemeinde den Gottesdienst wirklich mitfeiern kann; Sakramentskapellen (oft Krypta) werden vielfach als eine Notwendigkeit zur stillen Anbetung empfunden; und längst ist die Errichtung eines Baptisteriums, wo gewünscht, wieder üblich geworden. Noch stärker fällt uns diese Rückkehr zu altchristlicher Tradition im christlichen Kunstgewerbe auf: im Gebiet der Symbolik finden wir Nachbildungen von Geräten, Zeichen, Bildern und Inschriften aus der Urkirche: so den Fisch, das Christusmonogramm, den guten Hirten, den Weinstock und die Rebe, alttestamentliche Gestalten und Schriftzeichen, das Lamm, Katakombenlampen und vieles mehr.

Aber solche und ähnliche Erscheinungen könnten wegen ihrer äußerlichen Bedeutung noch nicht eine tatsächliche Verbundenheit der Kirche von heute mit der Urkirche dokumentieren; dazu bedarf es ganz anderer Zeugnisse. Und diese sind in eindrucksvollem Maße vorhanden!

Zuerst wollen wir einmal auf die Tatsache hinweisen, daß der moderne Katholik in den Mittelpunkt seines Kirchenbewußtseins die göttliche Natur und die göttliche Sendung seiner Kirche stellt. Er sieht in der Kirche tatsächlich die von Christus gestiftete Autorität und Lebensgemeinschaft, in der Gott zu uns spricht; also ist die Kirche für ihn nicht die Hüterin der Moral, die Garantin einer politischen, irdischen Weltanschauung, eine weltliche Macht, eine Erziehungsanstalt oder sonst irgend etwas ähnliches, sondern die Kirche ist ihm die lebendige Gemeinschaft der Gnade, durch die er am mystischen Leibe Christi teilhat. So bildet also das Christuserlebnis in der Kirche und durch die Kirche für den modernen Katholiken den Kirchenbegriff schlechthin. Und natürlich findet er seine Begegnung mit Christus am unmittelbarsten in der heiligen Eucharistie und in der Heiligen Schrift. Gerade dieses Erleben der Kirche und der Einklang von Christi Leib und Christi Wort (der in unserer Zeit ungeahnte Belebung erfährt) gestaltet unseren Katholizismus so reich, und verbindet ihn direkt über alle dazwischenliegenden Jahrhunderte, in denen das Kirchenbild oft verzerrt erschien und die Religiosität sich oft in Äußerlichkeiten erschöpfte, mit der vitalen Glaubensfreudigkeit der Kirche zur Zeit der Apostel und ersten Jünger.

Eine andere wichtige Parallele läßt sich zwischen uns modernen Katholiken und den ersten Christen ziehen: heute wie damals ist der Glaube Wagnis, oder wenigstens erscheint er uns als solches, weit mehr als in der Zeit zwischen dem 4. und 20. Jahrhundert. Nicht, daß die Festigkeit oder die Wahrheit des Glaubens sich jemals verändert hätte, das ist ja nicht möglich. Verändert ist nur die Einstellung der Umwelt zum Glauben: im zweiten und dritten Jahrhundert betrachtete man es noch als Wagnis, einem so "neuen" Glauben anzuhängen - man lebte ja in der Zeit des Heidentums. Und im zwanzigsten Jahrhundert? Da betrachtet man es wieder als Wagnis, einem so "veralteten" Glauben anzuhängen - man lebt ja in der Zeit des Neuheidentums. Also ist es für uns wie für unsere ersten Vorfahren im christlichen Glauben ein Wagnis, ein herrliches Wagnis, dem Glauben, der von der Masse nicht ernst genommen wird, treu zu sein, da wir gegen den Strom schwimmen; denn der Strom, der vor 313 bis fast ganz an unsere Zeit heran christlich floß, fließt heute in entgegengesetzte, materialistische Richtung.

Auch stützte den Christen der "Zwischenjahrhundete" die jeweilige irdische Macht, da sie Hand an Hand mit der Kirche ging. Doch das ist vorbei - heute sind wir, wie die Urchristen, auf uns selbst gestellt: Religion ist nicht mehr Staatsdienst, Religionsabfall nicht mehr Staatsverrat. Kirche und Staat gehen, - Gott sei Dank- , eigene Wege.

So können wir also feststellen, daß unsere Position als überzeugte, moderne Katholiken derjenigen der Urchristen, auf die wir heute noch stolz sind, sehr nahe kommt. Sie wurden angefeindet, wir werden es auch; sie legten trotzdem Zeugnis für Christus ab, wir tun es auch; sie waren stark im Glauben und hatten Jesus in ihrer Mitte: dies zu erreiche, wie sie, ist auch unser Ziel. An uns liegt es, uns so zu bewähren, daß auch auf uns die Kirche einst stolz sein kann.

Denn wir empfangen durch die Kirche die alten Ströme: die Liebe zu Gott und dem Nächsten, die Feier der hl. Messe, die Eucharistie, die Unmittelbarkeit, mit der wir der Realität Christi ins Auge sehen, die Schriftlesung aus dem Alten und Neuen Testament, und damit auch das Gesicht der Kirche der Apostel. Und das ist gut, denn nur die Glaubensfestigkeit und Innerlichkeit des Urchristentums können uns heute halten.

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