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Kirche in Südtirol - Grab Gottes?

1.3.1969, Aus: Die Brücke Nr. 17
Jeder, der sich auch nur oberflächlich mit Südtirol befaßt, merkt es: die Kirche stellt eine Größe erster Ordnung in unserem Lande dar. Im "heiligen Land Tirol" hängt es auch heute noch weitgehend von der Kirche ab, welche geistigen Strömungen sich durchsetzen und welche nicht; wie sich die Leute im gesellschaftlichen Leben verhalten; wer an die Macht kommt und wer nicht; wie die öffentliche Fürsorge gehandhabt wird; und eine ganze Reihe anderer Fragen dazu. Dabei ist die Kirche natürlich immer im Sinne der kirchlichen Institution verstanden: die Kirche - das heißt der Apparat und seine Funktionäre, Kurie, Bischof, Priester, Funktionärslaien, kirchliche Strukturen (Pfarreien, Bildungshäuser, Vereine, Presse) und von der Amtskirche ausgehende Veranstaltungen.

Dieselbe "Kirche" aber klagt über Glaubensschwund, Schwierigkeiten und Fehlschläge in der Seelsorge, Gleichgültigkeit. Und es ist wahr: ein Großteil der "Katholizität" Südtirols ist entweder einfach unüberlegte und unkritische Tradition, oder aber - häufiger als man meint - äußere Fassade. Oft kann man dabei zwischen Stadt und Land unterscheiden: am Land ist der Einfluß der "Kirche" größer (d. h. praktische der Einfluß des Pfarrers uns seiner Satelliten), aber die Religiosität ist meist unkritisch und gründet sich auf vielfach ganz unchristliche Motivationen, die aber seit Jahrhunderten mitgeschleppt werden (Glauben als Versicherung und Tribut an den Himmel, z. B., auch wenn er subjektiv ehrlich empfunden wird); in der Stadt hat die bisher vorwiegend ländlich ausgerichtete Seelsorge großteils versagt, und viele Menschen tun nur mehr soweit am kirchlichen Leben mit, als es die gesellschaftliche Konvention erfordert.

Synode 1970

Es ist nun nicht möglich, in Kürze die ganze Problematik der Kirche in Südtirol aufzurollen. Vielleicht kann die Diskussion darüber aber fortgesetzt werden. Hier soll in erster Linie über die sogenannten "innerkirchlichen Belange" gesprochen werden, wobei die gesellschaftspolitischen Implikationen ein anderes Mal behandelt werden sollen. Zur eingehenden Behandlung der Probleme der Kirche in Südtirol wurde vom Bischof in der Fastenzeit des vorigen Jahres eine Diözesansynode für 1970 angekündigt. Praktisch also eine Art Diözesankonzil für Südtirol - so wenigstens hoffen wir - das vorwiegend auf die Seelsorge und die Erneuerung der Kirche in Südtirol ausgerichtet sein soll.

Was wird nun aus dieser Synode? Wenn man an die letzte Synode zurückdenkt, die in Südtirol stattgefunden hat (1960), könnte man erschrecken und mutlos werden. Damals handelte es sich um ein kirchenrechtliches Monstrum, das eine Reihe von "canones" (kirchliche Gesetzesartikel) gebar, in denen die überflüssigsten und unchristlichsten Dinge bis in die Einzelheiten geregelt wurden. So etwa, daß der Pfarrer und seine Kooperatoren die Mahlzeiten nicht zusammen mit dem Dienstpersonal des Widums einnehmen sollten; oder daß der Pfarrer mit seiner Häuserin keine Ausflüge machen sollte; daß bei Primizen keine berittenen Herolde auftreten sollten; wie der Priester sein Testament machen und daß er sich gegen Feuer, Diebstahl usw. versichern sollte...Man weiß heute nicht, ob man über diese - noch nicht zehn Jahre zurückliegenden! - Ausgeburten lachen oder weinen soll. Damals war die Synode ein Treffen des Klerus, und praktisch kann man wohl annehmen, daß die Versammlung einfach die von der Kurienbürokratie (nach römischem Muster) vorbereiteten Paragraphen genehmigte, ohne an wesentlichere Anliegen auch nur ernsthaft zu denken. Damals war das Kirchenverständnis noch durchaus vorkonziliär und offensichtlich wurde die Kirche eben einfach als juristisch reglementierte Gesellschaft verstanden.

Hat sich das inzwischen geändert?

Bestimmt, große Fortschritte sind gemacht worden. Durch das Konzil, durch neue theologische Literatur, durch Christen (Priester und Laien), die neue Luft in die alten Strukturen zu bringen versuchten. Aber wenn man die derzeit vorliegenden Vorbereitungsarbeiten zur Synode 1970 ansieht, muß man befürchten, daß die Fortschritte nur scheinbare Änderungen bewirken und im wesentlichen kaum etwas angetastet wird.

Kommissionen, Unterkommissionen, Sekretariate...

Ein vorläufiges Sekretariat der Synode, unter Leitung des Priesters Hugo Nikolussi (eine Art Mons. Felici für dieses Südtiroler Konzil), hat zur Vorbereitung der Synode eine Reihe von Kommissionen und Unterkommisssionen vorgeschlagen, in denen die Problematik der Kirchenversammlung durch Fachleute vorbereitet werden sollen. Die vorgesehene Gliederung läßt aber erkennen, daß man immer noch versucht, die Lage der Kirche unter Verwendung der üblichen Kategorien zu erfassen und zu ändern, ohne die gegenwärtige Erscheinungsform und das Selbstverständnis der Kirche überhaupt in Frage zu stellen. Ein theologisches Grundsatzdokument soll die "ideologische" Grundlage liefern: wie kann aber eine Synode in dieser Weise fruchtbar werden, ohne daß vor allem die Grundlagen allgemein und tiefgehend diskutiert und erarbeitet werden?

Die einzelnen Kommissionen sollen sich mit folgenden Problemen befassen: Pastoralsoziologie (Situation der Diözese, Raumordnung, Personalfragen, Struktur der Pfarreien, Struktur und Ämter der Diözese), Liturgie (Sakramente und Verkündigung), christliche Bildung der Jugend und der Erwachsenen (Katechese, Jugend, Arbeiter, Intellektuelle, Studenten, Bauern, "Ferne", Jugendheime, kirchliche Institute wie Vinzentinum, usw.), Berufung des Laien (Christ und Welt, Kirche, Ehe und Familie, Fremdenverkehr, Freizeitbeschäftigung), Berufung des Welt- und Ordensklerus (Priesterberufe, Ausbildung und Weiterbildung des Klerus, Seelsorge für Priester, Leben und gemeinsame Arbeit des Klerus, religiöse Institute, Zusammenarbeit zwischen Welt- und Ordensklerus), Massenkommunikationsmittel (Presse, Rundfunk, Film, Fernsehen), Verwaltungsfragen (Vermögensverwaltung der Diözese, Dekanate und Pfarreien, Archive usw.).

Explosives Dokument?

Aus dem Überblick über die derart gegliederte Vorbereitungsarbeit (es handelt sich aber um ein vorläufiges, vielleicht noch änderbares Programm) muß man schließen, daß noch einmal die Synode eine Art Generalüberholung des kirchlichen Apparates und der gegenwärtigen Kirchenstruktur in Südtirol darstellen soll. Dabei ist es dann nicht einmal besonders wichtig, ob nur Priester (also hauptamtliche Funktionäre) oder auch eine vorsichtig dosierte Anzahl von Laien die Synode "machen", und sich dabei mehr oder weniger formalparlamentarischer Spielregeln bedienen. Denn die Weichen werden entscheidend schon durch diese Art der Vorarbeit gestellt, und daraus spricht erschreckende Phantasielosigkeit. Die Kirche in ihrer derzeitigen Verfassung und Gestalt wird als gegeben und eigentlich unabänderlich angesehen.

Und was noch besonders schwerwiegend erschient: die erste der genannten Kommissionen soll auf einem Feld arbeiten, das schon vor einem Jahr von Fachleuten untersucht wurde. P. Emile Pin vom religionssoziologischen Institut in Rom hat bereits eine pastoral-soziologische Voruntersuchung abgeschlossen und seit langem ein detailliertes Programm über die Hauptuntersuchung vorgelegt. Aber es schient, daß man vor einer solchen Untersuchung und vor dem Bekanntwerden ihrer Ergebnisse "irgendwo" in der kirchlichen Struktur Angst hat: der Abschlußbericht der Voruntersuchung wurde nur einer ganz kleinen Anzahl von Auserwählten zugänglich gemacht, und bis jetzt ist überhaupt nicht bekannt geworden, ob - und gegebenfalls wann - die Hauptuntersuchung überhaupt durchgeführt werden soll. Dabei ist es klar, daß selbst die Arbeit von solchen Kommissionen, wie sie bisher vorgesehen sind, nur dann einen gewissen Sinn haben kann, wenn sie auf eine möglichst reiche Fülle von Unterlagen und Informationen aufbauen kann - ohne sich von Vorurteilen oder Wunschdenken hemmen zu lassen. Warum will man diese Untersuchung unterdrücken und nicht bekannt machen?

Selbstorganisation

In einer Lage, wie wir sie erleben - mit einem fast ausschließlich stark konservativ orientierten Klerus, der kaum Ansätze zu einem neuen Kirchenverständnis zeigt, mit erdrückenden Strukturen des kirchlichen Apparates und Neben-Apparates (d. h. alle jene Strukturen, die nicht ausdrücklich kirchlich sind, aber praktisch oft von Klerus, usw. beherrscht werden - Musikkapellen, Vereine, usw.), mit einer in jeder Weise konservativen Umwelt - ist eine wirksame Aktion zur Erneuerung schwierig. Aber es gibt Möglichkeiten - obwohl in Südtirol noch stärker als anderswo auch die politische Macht an einer unbeweglichen Kirche interessiert ist, und alle einflußreichen Kräfte der gegenwärtigen Gesellschaft das Ihre dazu tun, damit sich der bisher stabilste Faktor im Gleichgewicht nicht ändert und Unruhe hervorruft.

Die möglichen Alternativen sind in der Selbstorganisation zu suchen: wenn die Kirche nicht wirklich Grab Gottes sein soll, muß man den offiziellen Strukturen Experimente einer freien, kritischen, brüderlichen und erneuerten Kirche entgegensetzen. In Bezug auf die Synode kann das heißen, Diskussionskreise, liturgische Feiern, Aktionen zur Bekämpfung und Überwindung der obrigkeitlichen und bürokratischen Kirchenstrukturen zu organisieren, in denen vor allem darauf hin gearbeitet wird, daß die Kirchenversammlung nicht nur von den "Eingeweihten", sondern von allen Christen gestaltet wird. Dabei darf man nicht warten, bis sich etwa einer der wenigen mutigen und "fortschrittlichen" Priester rührt, sondern muß überall dort anfangen, wo auch ganz kleine Gruppen und Gemeinschaften den Willen zur Erneuerung haben.

Die "brücke" möchte gerne ihren Dienst dabei leisten: wir möchten Vorschläge, Diskussionen, Thesen usw. veröffentlichen und als Kontaktorgan zwischen engagieren Kräften mithelfen, daß die einzelnen Gruppen nicht überspielt oder unterdrückt werden, sondern im Gegenteil sich entfalten und ihren Raum finden.

Deshalb soll die Diskussion hier in den nächsten Nummern fortgesetzt werden.
pro dialog