Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Südtirol - Alto Adige

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Warum ich die Italiener in Südtirol nicht mehr missen möchte

1.4.1980, Aus: skolast Nr. 4
"In Innsbruck paßt mir's recht gut - aber die Italiener gehen einem schon ab", so eine Südtiroler Studentin, aus einem Seitental, Oberschule in Meran, jetzt Studium an der "Landesuniversität".

Ich würde auch ohne "die Italiener" in Südtirol heute nicht leben wollen.

Dabei komme ich aus einem sprachlich und kulturell völlig "eindeutigen" Hintergrund .Geboren und aufgewachsen in Sterzing, mit so mancher "wohlverdienter" (und wohlverdienender) Verwandtschaft im Lande Tirol. Von den (bürgerlichen) Eltern mit sicherem Sprachgefühl ausgestattet. Auch das Schulbildungskurrikulum ist einwandfrei. Nur mit dem Kindergarten, da stimmt's nicht: die Eltern, die selber mit Mühe als Erwachsene italienisch lernen mußten, wollten mir diese Mühe erleichtern.

Loyalitätskonflikte erlebte ich erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre in Bozen. Die große Stadt, die vielen Italiener, das Klima an der Schule und in der Presse, die ersten Attentate, der "Pfunderer Prozeß". Warum war meine Familie nicht so "patriotisch" wie andere? Warum wollte sie für die Schützen nichts spenden?

Daß Tiroler Patrioten die Italiener nicht zu hassen brauchen und deutschnationale Getöse von all jenen, die gegen die Nazis gewesen waren, sehr mißtrauisch auf braune Untertöne hin abgehorcht wurde, mußte ich erst lernen. Das kostete Reibungen mit dem vorherrschenden "sensus communis".

Und weckte Interesse für die Italiener. Daß es auch unter ihnen Streit und Spannung gab, daß sich z. B. Süditaliener von den nördlicheren Einwanderern diskriminiert fühlten, erfaßte ich erst nach und nach.

Ich begann es für wichtig zu halten, etwas zu tun, daß man sich gegenseitig kennenlernte, Vorurteile abbaute, Möglichkeiten zur (auch sprachlichen) Verständigung fand, sich durch entsprechenden Sinneswandel darauf einstellte.

Das ist auch heute noch so, etwa 20 Jahre später. Meine deutsche Muttersprache bedeutet mir sehr viel. Es schmerzt mich, sie in unserem Lande von den einen und den anderen so oft mißhandelt, ungeliebt, unverstanden, mißbraucht, umfunktioniert, verflacht, verarmt, verdreht und umstritten zu erleben. Auch Tradition, Geschichte und Kultur Tirols bedeuten mir sehr viel. Deutsches Sprach- und Schriftgut in seiner gesamten Breite ist mir wert und heimisch - ohne deshalb Führer oder Reiche zu ersehnen, die vom Belt zur Etsch oder vom Rhein zur Memel politisch zusammenschweißen, was sich heute durch staatliche und regionale Vielfalt auszeichnet. Der österreichische, milden und plurinationalen Ader dieser Überlieferung weiß ich mich enger verpflichtet als anderen.

Muß man dies alles eigentlich zuerst schwarz auf weiß beteuern und beschwören, um auch sagen zu dürfen, daß man sich nicht in den engen und "geschlossenen" Block der eigenen "deutsche Volksgruppe in Südtirol" eingrenzen und abkapseln lassen will? Daß man sich vom Leben aller in Südtirol bestehenden Sprachgruppen nicht ausschließen lassen möchte?

Niemand soll mir das Recht nehmen dürften, gegen die Einzäunung der Volksgruppen anzukämpfen und die Italiener heute in Südtirol nicht mehr missen zu wollen.

Da ist einmal die größere Beweglichkeit, die mit ihrer Anwesenheit zusammenhängt. Dinge und Empfindungen in mehr als einer Sprache zu benennen; verschiedene Lebensarten und -auffassungen zu kennen; Vergleiche anstellen zu können; die eigene Eigenart nicht absolut zu sehen; am Schnittpunkt von Kulturen und Einzugsbereichen zu leben - alles das schärft nun einmal die Fähigkeit zum Relativieren, zum Verstehe, zum Austausch. Wenn man sie sich nicht durch Schranken und Vorurteile verbaut.

Auch Neuerungen und Veränderungen, Aufgeschlossenheit für demokratische, soziale und politische Anliegen, kritische und alternative Tendenzen haben wir häufig der italienischen (Mit-)Präsenz in Südtirol zu danken. Nicht umsonst versucht die Gegenseite ständig, "walsch" und "links" gleichzusetzen und gemeinsam zu verteufeln.

Und vielleicht sollte man es als "satte Volksgruppe" (wie sich Friedl Volgger und seine Freunde manchmal ausdrücken) auch nicht unterschätzen, was es bedeuten kann, mit der Unsicherheit und der (oft auch materiellen) Wurzellosigkeit anderer konfrontiert zu sein. Vielleicht liegt darin eine Herausforderung, die es uns noch rechtzeitig ersparen kann, auf bundesrepublikanische Verhältnisse hinzusteuern, wo die "Sattheit" der einen ihre Kehrseite vor allem bei den Randgruppen und "Gast"arbeitern - und außer Landes! - zeigt.

Auch ein Beitrag zu unmittelbarer und zwangloser Menschlichkeit gehört zu dem, was ich als "Geschenk" italienischer (Mit-)Präsenz ihn Südtirol schätzen und erwähnen möchte.

Der Vergleich mit dem österreichischen Tirol mag für jeden erkennbar erhellen, "was uns die Italiener in Südtirol gebracht haben".

Also: ich möchte sie nicht mehr missen, unsere italienischsprachigen Landsleute in Südtirol. Und bin bereit, auch für ihr Heimatrecht einzustehen. Obwohl ich natürlich weiß, daß man sich dadurch auch verändert - und die anderen mit-verändert, wenn die gegenseitigen Beziehungen sich nicht auf den Notenaustausch an der Spitze beschränken.

Obwohl? Nein, eigentlich gerade deshalb. Und so wie ich mich als veränderbar empfinde, erwarte und betreibe ich dies auch vom und beim Gegenüber. Nicht, um aus der Retorte den "Neusüdtiroler" zu schaffen oder wie der Rosenzüchter die Arten kreuzen.

Sondern damit aus dem Nebeneinander ein dynamisches und wechselwirksames Miteinander wird.

Schließlich sind die Nordtiroler von heute, die Sachsen von heute, die Schwaben von heute auch nicht dieselben wie damals, 1918.

Im Grunde sind wir beneidenswert. Heimat mehrere Sprachgruppen zu sein, kann sicherlich viel Spannungen bedeuten. Aber es könnte darin auch eine Arznei gegen povinzielle Verkümmerung liegen. Wer's nicht glaubt, schaue sich zum Vergleich einmal in Innsbruck oder Trient, in Graz oder Verona um.
pro dialog