Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Südtirol - Alto Adige

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(22) Cassar-Simma: Trag Sorge - Abbi Cura - Take Care (11)

Mane, Thekel, Phares: Bibel, Option, Bishof

1.4.1982, Sturzflüge, April 1982
Bibel: Und das sind die Zeichen, die geschrieben sind: Mane, Thekel, Phares. Und das ist die Deutung der Worte: Mane, gezählt hat Gott dein Reich und macht ihm ein Ende; Thekel, gewogen warst du auf der Waage und zu gering erfunden; Phares, geteilt wird dein Reich und den Persern und Medern gegeben..._ (Buch Daniel, im Alten Testament, 5. Kap.). Die Feuerzeichen zu Babylon, beim König Baltassar.

Gezählt, gewogen, geteilt, mane, thekel, phares.

Bei uns geschehen im Herbst des Jahres 1981, unter dem Beifall sämtlicher Großen des Volkes.

Zählen, wägen, teilen: mir fallen immer wieder biblische Erinnerungen ein.

Adam, der die Tiere und Lebewesen mit Namen benennt und damit die Herrschaft über sie gewinnt. Das Volk Israel, das beim Durchzug durch die Wüste nicht nur die zehn Gebote und zahlreiche Vorschriften und Gottesdienste erhält, sondern auch genauestens eingeteilt wird in Stämme und Geschlechter, so daß sich ein ganzes Buch (_Numeri_ geheißen) mit dieser Zählung und Einordnung zu beschäftigen hat.

Teilen und herrschen, zählen und ordnen, unterordnen, anordnen.

Mit einem Kennzeichen versehen: damit die Plage und der Schrecken nicht alle, sondern nur die dafür Ausersehenen treffe.

Und der Herr sprach zu Moses: Noch eine Plage will ich Pharao und Ägypten verhängen, und danach wird er euch von hier ziehen lassen, ja er wird euch sogar gewaltsam von hier forttreiben..._ Da sprach Moses: _So spricht der Herr: um Mitternacht werde ich durch Ägypten gehen, dann soll alle Erstgeburt sterben im Lande der Ägypter... auch alle Erstgeburt des Viehs. Und es wird ein groß Geschrei sein im ganzen Lande Ägypten, desgleichen zuvor nie war noch fernerhin sein wird. Aber gegen die Söhne Israels wird kein Hund die Zähne spitzen, weder gegen Mensch noch gegen Vieh, auf daß ihr erkennet, wie wunderbar der Herr scheidet zwischen den Ägyptern und zwischen Israel. Dann werden demütig zu mir kommen alle deine Leute und vor mir niederfallen und sagen: zieh fort, du und alles Volk, das dir untergeben. Danach werden wir ausziehen._ (Exodus, 11. Kap.)

Später waren es die Kinder Israels, die gezeichnet wurden und vernichtet. Nicht nur die Erstgeburt.

Anfänglich fand niemand etwas daran, daß ein Jude auch als solcher aufgeschrieben und eingetragen wurde. Und es gab Juden, die begannen, sich _arischer_ Großeltern zu erinnern.

Option

Die letzte große Volkszählung, bei der jeder auf ewig seiner _Volksgruppe_ auf Gedeih und Verderb zugewiesen wird, ist dann das Endgericht. Hundertvierundvierzigtausend sollen es dann sein, die mit dem Lamm auf dem Berg Sion stehen werden; jene Hundertvierundvierzigtausend, _die Seinen Namen und Seines Vaters Namen auf ihren Stirnen geschrieben trugen_, die _losgekauft sind aus den Menschen_ (so schreibt Apostel Johannes in der Apokalypse, der _Geheimen Offenbarung_). Jeder hingegen, _der im Buch des Lebens nicht aufgeschrieben gefunden war, wurde in den Feuerpfuhl geworfen_.

Nun: Apokalypse wird deswegen in Südtirol noch keine passieren, hofft man. Und nicht sofort wird der Würgeengel zu unterscheiden haben, wer ausziehen muß und wer bleibt, wer dem Gericht zum Opfer fällt und wer verschont wird.

Aber beeindruckend war es schon, wieviel aktive und passive Zustimmung eine solch ungemein totalitäre Aktion des _Zählens, Wägens und Teilens_ gefunden hat; wie wenige sich der Erpressung letztendlich zu entziehen wagten; wie plötzlich die Identität eines jeden von diesem _VolkstumsSCHEIN_ abzuhängen drohte.

Dabei garantiert der ZugehörigkeitsSCHEIN ebensowenig die sprachliche und kulturelle Identität, das Zusammengehören aufgrund gemeinsamer Überlieferung und Geschichte, als der Eheschein die Liebe zwischen zwei Menschen.

Durch die _Option 1981_ wurde die Zugehörigkeit zu den drei amtlichen Sprachgruppen des Landes ebenso legalisiert und bürokratisiert, wie die zwischenmenschlichen Beziehungen durch die institutionalisierte Ehe.

An den Rand gedrängt wurden alle jene, die bei der wilden Ehe, außerhalb der Norm der reglementierten Beziehungen und zulässigen Verhältnissen, bei freien und vertraglich nicht gebundenen Formen des Selbstseins und des Andersseins bleiben wollten.

Denn das Anderssein ist in unserer Region des verbalen Schutzes von _anderen_, von _Minderheiten_, nur in den etablierten Formen gestattet.

Bezüglich der Option 1939 wird heute geklagt, daß die Bevölkerung vor lauter Optanten-Propaganda gar nicht imstande war, eine Entscheidung fürs Dableiben zu treffen und wer sie traf, hatte sie bitter zu büßen. Friedl Volgger und Leo von Pretz machten damals gemeinsam die Erfahrung, was es hieß, in ein entlegenes Tal zu fahren, ein paar wenige Leute zu informieren (aber wer glaubte ihnen schon, und wer den anderen?), und auf der Rückkehr die Autoreifen ohne Luft vorzufinden.

Erfahrungen, die 1981 von den Gegnern der neuen Option nachvollzogen werden konnten. Ähnlich auch das Unverständnis vonseiten der Vielen, das Verlassensein, das Schweigen der Regierung zu den Propagandalügen der Optantenwortführer (zu denen auch diesmal alle Mächtigen gehörten).

Bischof

Als 1940 Bischof Geisler seinen Optantenschein für Deutschland unterschrieb, legte er seinen Hirtenring ab und erklärte, er tue dies als Deutscher, nicht als Bischof.

Als 1981 Bischof Gargitter seinen Optantenschein für die deutsche Sprachgruppe unterschrieb (er hatte ja die Gläubigen eindringlich aufgefordert, die Solidarität zur eigenen Volksgruppe diszipliniert zu erweisen), hat er seinen Ring wahrscheinlich nicht mal abgelegt weil diesmal kein Fotograf dabei war.

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