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Gespräch zwischen Weltanschauungen

1.5.1966, Aus: skolast Nr. 5-6, 1966
In den Jahren nach 1950 begann sich in Europa immer mehr das Bedürfnis abzuzeichnen, ein Gespräch zwischen dem Kommunismus und dem Christentum anzubahnen. In den letzten Jahren wurde der Ruf nach "Dialog" besonders in Italien und Frankreich (wegen ihrer religiös-politischen Lage) immer wieder erhoben, doch auch im deutschen Sprachraum griff man das Problem an (darunter mit zwei Tagungen, in Salzburg und am Chiemsee). In Italien wird Florenz als das Zentrum dieser Bewegung angesehen, doch spürt man dieselbe Tendenz auch in vielen anderen Städten.

da ich glaube, daß diese Frage eine der wichtigsten in unserer Zeit- und Weltlage ist, möchte ich versuchen mir einige Gedanken zum Problem zu machen.

Wer sind die Partner?

Eben hieß es "Gespräch zwischen Kommunismus und Christentum". Diese Formulierung hat den Vorwurf hinzunehmen, daß auf der einen Seite eine politische Macht steht, auf der anderen dagegen eine Religion, also ungleiche Partner. Darum möchte ich Lieber insoweit präzisieren, daß auf der einen Seite die marxistische Weltanschauung stehen mag (darum kann sie auch den marxistischen Sozialismus einbegreifen) und auf der anderen die christliche Religion, zwar ausgedrückt in der Kirche, aber nicht nur in ihren institutionellen Formen zu nehmen. Also wird sich konkret der Dialog zwischen Christen und Marxisten (meist Kommunisten) abspielen. Warum soll nun diesem Dialog eine besondere Bedeutung zukommen?

Es ist wohl kaum zu bestreiten, daß diesen beiden geistigen Kräften (ich möchte sie nicht beide als Ideologien bezeichnen) heute eine absolut vorherrschende Rolle in der Auseinandersetzung um das Welt- und Menschenbild zukommt, sowohl wegen der großen Anzahl ihrer Anhänger, als auch wegen ihrer inneren geistigen Durchbruchskraft. Die anderen Weltanschauungen stehen heute nicht auf ebenso vorgeschobenen Posten, andere politische Kräfte hingegen berührt unsere Überlegung gar nicht (Liberalismus also ist keine Weltanschauung, darum soll hier nicht darüber gesprochen werden). Marxismus und Christentum hingegen stellen ganzheitliche Ansprüche an den Menschen, müssen sich also notwendig auseinandersetzen oder auch gegeneinander kämpfen. Hier soll untersucht werden, welche Haltung vorzuziehen ist (ich erhebe keinerlei Anspruch auf irgendwelche offizielle Rückendeckung, lege also persönliche Gedanken dar).

Für und wider

Totalitäre System auf politische Ebene sind immer und überall gegen jeden Dialog, ganzheitliche und exklusive Weltanschauungen (wie zum Beispiel das Christentum) aber müssen nicht notwendig dagegen sein, wenn sie es auch historisch oft waren. Wir kennen das Instrumentarium, mit dem jede der beiden Ebenen auf unerwünschte Vorstöße reagiert: Verfolgung, Gefängnis, Verbannung, politischer und moralische Druck, Exkommunikation usw. Heute scheint in machen Lagen diese Phase überwunden, beim politisch organisierten Kommunismus jedenfalls noch nicht, bei der Kirche hingegen weitgehend schon.

Gegner eines solchen Gespräches behaupten immer wieder, daß Dialog unmöglich ist, da völlige Unvereinbarkeit besteht, daß jeweils der eine oder andere Teil böse Nebenabsichten hat, daß Dialog den Gegner fördern würde, daß Dialog Nachgeben bedeutet.

Ich möchte dagegen behaupte, daß heute der Dialog zwischen Marxismus und Christentum möglich, nützlich und sogar notwendig ist.

Die wird nun zu beweisen sein.

Was heißt Dialog?

Für mich heißt Dialog Begegnung und Aussprache, bei der jeder der Partner fest wissen muß, wo er steht, aber in echter Öffnung (die für mich Liebe bedeutet) bereit ist, den Gegner anzuhören, ihn zu begreifen versucht und in echter geistiger Ehrlichkeit schließlich zu seiner erhärteten Überzeugung kommt: diese neugewonnene Überzeugung kann dieselbe wie vorher sein, kann aber auch in manchem oder in allem - dank der Auseinandersetzung - verändert sein. Voraussetzungen für jeden Dialog sind innerlich starke Gesprächspartner, guter Wille, gemeinsame Verständigungsmöglichkeit (also auch Klärung der Begriffe). Dazu muß das Feld von allen unnötigen Dogmatismen geräumt werden und sich auf das Wesentliche konzentrieren, klarstellen, welche Punkte einerseits wahr, andererseits unverzichtbar schienen und in welchen hingegen Änderungen möglich sein könnten. Beiderseits müssen in größter Demut und Ehrlichkeit etwaige Bekehrungsabsichten zurückgestellt werden, denn es muß gemeinsame Suche nach der Wahrheit werden. Bezüglich der Methode schient es mir wesentlich, vor allem die strittigen Punkte klar herauszuarbeiten, damit man überhaupt weiß, worum die Auseinandersetzung letztlich geht.

In Anwendung dieser methodologischen Voraussetzungen schient es mir wichtig zu klären, daß Religion und Ideologie einerseits, Kultur, Politik und Wirtschaft andererseits nicht dasselbe sind, wenn sie auch im Falle "ganzheitlicher" Weltanschauungen irgendwie voneinander abhängen (der Zusammenhang findet sich in der Ethik).

Außerdem ist es in unserem Falle besonders wichtig, zwischen einer theoretisch-philosophischen Dimension und einer praktisch-geschichtlichen zu unterschieden: das dient nicht nur der Klärung der Voraussetzungen, sondern vermeidet auch, daß man sich mit Scheinargumenten aufhält (Beispiel: bei der Diskussion um die Freiheit im Grundsätzlichen kann weder Galilei noch die Ungarnrevolution einen letztlich schlagenden Beweis liefern).

Auf welcher Ebne?

Oft herrscht große Verwirrung (die manchmal gewollt ist) bezüglich der Ebenen, auf denen sich solch ein Dialog abspielen oder nicht abspielen soll. Darum halte ich es für günstig dieses Feld wiederum abzugrenzen.

Untersuchen wir zuerst die politische Ebene, die meistens als erste und unmittelbarste herangezogen wird. Hier möchte ich aber entschieden bemerken, daß es sich dabei nur um eine Frage der Staatskunst, des Gemeinwohles und der politischen Opportunität handeln kann. Also muß diese Frage politisch beantwortet werden, wenn sich die Antwort auch nicht gänzlich vom Weltanschaulichen trenne läßt (auch politische Zusammenarbeit darf nicht gänzlich von letzter, ideologischer Zielsetzung absehe, obwohl hier vielleicht nach Aufgabenbereichen - etwa Regierung, Landes- oder Gemeindeverwaltung, usw. - zu unterschieden wäre). Ich lehne einen reinen Pragmatismus in der Beantwortung dieser Frage ab, halte aber die Möglichkeit einer gewissen praktischen Zusammenarbeit (je nach den Umständen) grundsätzlich jedenfalls für nicht ausgeschlossen. Es sei darauf hingewiesen, daß es positive und negative Beispiele gibt. Im letzten aber ist es nicht diese Frage, auf die ich Antwort geben will, da eine Antwort hier nur politisch möglich ist (es ist klar, daß Politik nur ethisch denkbar ist).

Leichter läßt sich die Frage nach dem kulturellen Dialog beantworten: hier halte ich die bejahende Antwort für selbstverständlich, da eine echte Kultur ohne Begegnung und Auseinandersetzung undenkbar ist. Die gemeinsame Suche nach den menschlichen Werten, Kontroverse und Vergleich, Diskussion über strittige, neutrale und gemeinsame Punkte (die sich auf allen Ebenen finden lassen) ist fruchtbar und begrüßenswert. Christen und Marxisten sind der Menschheit verpflichtet, ihre im tiefsten Sinn kulturelle Leistung kann menschliche Begegnung und Verständigung fördern.

Weltanschaulicher Dialog

Auf politischer Ebene - wo der Dialog so oft gefordert wird - läßt sich unter Umständen noch die Möglichkeit eines Kompromisses sehen, auf weltanschaulicher Ebne sicher nicht. Entbindet uns das von der Verpflichtung, auch hier ein Gespräch zu suchen? Ich sage nein. Im Gegenteil, dies ist die wichtigste Ebene für die Menschheit unserer Zeit, sie spielt auch in die anderen mit hinein, wenn sie auch im Wesen anders und verschieden ist. Außerdem schient der weltanschauliche Dialog oft leichter, doch mag dies der irrigen Ansicht entspringen, daß diese Gespräche weniger schwerwiegende Folgen zeitigt als das politische etwa. Wer so denkt, verkennt wohl die schöpferische Kraft geistiger Impulse.

Zuerst möchte ich die Frage von der Seite des Marxismus untersuchen: heute ist vielfach schon der ideologische Charakter des Marxismus in Frage gestellt, oft stellt er sich nur mehr als politisches Programm, als eine Methode, zur neuen Gesellschaft zu finden, womit sich nicht mehr die Notwendigkeit ergibt, auf letzte Fragen zu antworten. Diese Erscheinung kann m. E. schon nicht mehr als Marxismus bezeichnet werden, bestenfalls noch als Kommunismus oder überhaupt nur mehr als Sozialismus oder Sozialdemokratie. Wenn die Entideologiesierung so weit ist, kann wohl von weltanschaulichem Dialog nicht mehr gesprochen werden, nur mehr von politischem (iuxta propria principia).

Wo hingegen der ideologische Charakter des Marxismus erhalten bleibt, stellt er natürlich Ansprüche, die jeder Religion diametral entgegengesetzt sein müssen. In diesem Falle wird die Begegnung mit Christen äußerst schwierig, Zusammenarbeit oft unmöglich, weil die Zielsetzungen durchaus verschieden sind, und der Dialog wird eher den Charakter des Streitgespräches haben (da beide Seiten dieselben "Gebiete" beanspruchen, z. B. Atheismus, "Messianismus", Materialismus usw.) Der Marxist wird die Frage nach dem Dialog nach seiner Opportunität beantworten. Im praktischen Feld kann die Begegnung im gemeinsamen Einsatz für eine bessere, gerechtere Gesellschaft sein, in der Förderung des Friedens, usw. Die ethischen Motive des Marxismus können dabei einerseits befruchtend und anspornend wirken, andererseits selbst wichtigen Austausch und Anregung erfahren. - Theoretisch ist zu sagen, daß die marxistische Weltanschauung als solche in sich auf Dialog auch verzichten könnte, in der Praxis das Gespräch aber häufig sucht.

Auf christlicher Seite

Anders sieht es auf christlicher Seite aus. Vor allem ist die Kirche "weltanschaulich" festgelegt (in weitestem Sinne zu verstehe, man denke an Konzil, "Dogmen-Evolution", kerygmatische Theologie usw.), und hat also Unverzichtbares zu hüten, während der Kommunismus - wie die Praxis gezeigt hat - ideologische Motive auch zugunsten des politischen Einsatzes zurückzustellen weiß. Fernen hat das Christentum den wesentlichen Auftrag, die frohe Botschaft zu verkünden und Zeugnis für Christus (und also übernatürliche Wahrheiten) zu geben, der nicht verraten werden darf, ist aber an keine zeitlich-politischen Formen gebunden (und also von dieser Seite her "freier" als der Marxismus). Der Dialog des Christentums (und der Kirche) darf überdies nicht mit politischen Systemen geführt werden (schlechte Erfahrungen haben in der Kirche diese Einsicht bestärkt), sondern ist geistige Auseinandersetzung.

Was spricht also für den Dialog Christentum-Marxismus? Vor allem der Wert jeder Begegnung in sich, der Verständigung von Mensch zu Mensch (für den Christen ein Auftrag der Liebe) und der gegenseitigen Bereicherung, die ach zwischen Christen und Marxisten ständig stattfinden kann und stattfindet. Wesentlich für die Notwendigkeit des Dialogs schient mir aber die Sendung der Kirche, die ja zu allen gechickt ist und allen Menschen die Heilsbotschaft schuldig it. Darum kann sich die Kirche diesem Gespräch gar nicht entziehen und also auch den Partner immer besser kenne und verstehen lernen. Schließlich mag auch noch die Erwägung mit in Betracht gezogen werden, daß sich zwischen Christentum und Kommunismus immerhin einige Berührungspunkte finden lassen, so das Streben nach Gerechtigkeit, Frieden, die Vorliebe für die Armen und Unterdrückten, usw. Damit schient mir klar, daß für das Christentum dieser Dialog nicht nur opportun (diese Motiv dürfte es für den Christen gar nicht geben), sondern notwendig ist, umso mehr als ein großer Teil der Menschheit sich heute im guten Glauben zum Marxismus und Kommunismus bekennt.

Die Lage heute

Aus der gegenwärtigen Zeitlage ergeben sich außerdem für beide Seiten Gründe zur Begegnung: die Notwendigkeit des Zusammenlebens (Koexistenz), die gemeinsamen Bemühungen zur Erhaltung des Friedens und zur Erschließung neuer Lebensmöglichkeiten, die Menschheitsfamilie in ihrer Ganzheit, die immer mehr miteinander leben und in ihren Gliedern immer mehr gegenseitige Abhängigkeit aufweist. Schließlich bietet unsere Zeit durch den herrschenden Pluralismus die beste und fruchtbarste Gelegenheit zu menschlicher Begegnung auf allen Ebenen. Daraus ergibt sich eine moralische Verpflichtung für Marxisten und Christen. Natürlich ist gegenseitiges Vertrauen erfordert, wenn echter Dialog zustande kommen soll.

Hindernisse

Ich will mir nicht verbergen, daß es immer noch große Hindernisse zu einer Begegnung gibt: vor allem ist da einerseits die gegenwärtige Erscheinungsform des Marxismus-Kommunismus in den östlichen Staaten zu nenne, und andererseits viele Gegner unter den Christen, die es noch nicht gelernt haben, das Christentum in der pluralistischen Gesellschaft und in seiner konziliären Neubesinnung zu sehen und zu leben. Trotzdem schient mir, daß auch positive Anzeichen zu vermerken sind, so die Entwicklung, die die marxistische Weltanschauung in den nichtkommunistischen Ländern - besonders in Italien und Frankreich - durchmacht. Beiderseits haben sich jedenfalls in den letzen 10 bis 15 Jahren die Bedingungen für eine Begegnung im Dialog wesentlich gebessert.

Die Frage nach dem Inhalt de Dialogs

Bis jetzt sprach in von Dialog; nun stellt sich natürlich die Frage, worüber eigentlich gesprochen werden soll. Hier möchte ich klarstellen, daß ich in diesem Artikel nur die äußeren Bedingungen und Voraussetzungen für den Dialog untersuchen wollte.

Was die Inhalte anbelangt, muß in ehrlichem Gespräch Punkt für Punkt der umstrittenen Probleme angegangen werden, so z. B. die Frage nach der Freiheit, dem Individuum, dem Atheismus, der Bindung der Kirche an bestimmte politische System oder nicht, des Kapitalismus, der ethisch zulässigen Wirtschaftsformen, des Welt- und Menschenbildes, des Materialismus, der Religion, des Eigentums, usw. Bestimmt wird es hier oft scheinbar unvereinbare Standpunkte geben, doch glaube ich eben gerade darin an den Wert der menschlichen Begegnung und Auseinandersetzung. Nur in der offenen Aussprache kann Klärung erreicht werden, die entweder zu einer Annäherung der Standpunkte führen kann oder zumindest feststellt, wo die trennenden Punkte liegen.

Daß dieser Dialog notwendig und möglich ist, habe ich oben behauptet. Nach dieser Untersuchung glaube ich auch behaupten zu können, daß die Bedingungen, Voraussetzungen und Möglichkeiten vorliegen, die es erlauben, einen ethischen Imperativ für Christen und Marxisten zu verwirklichen.

Quod erat demonstrandum.
pro dialog