Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Südtirol - Alto Adige

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"Gedanken zur "Kulturpolitik" der SH"

1.1.1968, Aus: skolast Nr. 1
Bei der letzten Ausschußversammlung der Hochschülerschaft im Geschäftsjahr 1967 gab es eine unerhörte Überraschung: der Vorstand brachte selbst einen Beschlußantrag vor, in dem die SH unter den gegebenen Umständen die Unmöglichkeit gedeihlicher Zusammenarbeit mit dem Kulturinstitut bezüglich der nächsten Meraner Hochschulwochen feststellt und sich darum für dieses Jahr fernhält. Der guten alten Tradition gemäß stimmte die Mehrheit des Hohen Rates dafür (man ist gewohnt, Regierungsvorschläge allgemein zu billigen; man stelle sich das Ergebnis der Abstimmung vor, wenn der Antrag aus der "Opposition" gekommen wäre!). Damit ist das Kapitel der Beziehung Südtiroler Hochschülerschaft - Südtiroler Kulturinstitut in eine neue und akute Phase der Spannung getreten, die sich diesmal nicht verheimliche oder auf einen kleine Kreis von Eingeweihten beschränken läßt. Meines Erachtens ist diese Entwicklung zu begrüßten, weil dadurch das Problem endlich einmal offen zur Sprache kommt und sich wohl nicht mehr durch Vertuschen aufschieben oder umgehen lassen wird: und das ist gut so.

Es wäre wohl unvernünftig und kaum zu rechtfertigen, aus dieser "Spannung" eine Art Kriegszustand zu machen; darum kann es den Südtiroler Hochschülern in ihrer Gesamtheit heute bestimmt nicht gehen. Wohl aber ist es an der Zeit, sich über die Reibungsmomente klar zu werden und darüber nachzudenken und zu diskutieren: die Spannung kam nicht über Nacht und ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ehrlich aufzugreifen und einer Lösung zuzuführen (Lösung kann im äußersten Fall auch Bruch bedeuten), liegt im Interesse aller.

Was nun?

Ich glaube, daß drei grundsätzliche Aspekte geklärt werden müssen um einen gangbaren Weg zu finden: die Haltung der SH zur "Kulturpolitik", zum Kulturinstitut und zu den Hochschulwochen im allgemeinen. An diesen Schwerpunkten dürfte sich wohl auch die zukünftige Entwicklung auf diesem Gebiet messen.

1. "Kulturpolitik": Immer noch ist in der Hochschülerschaft rege Diskussion im Gang, ob die SH überhaupt eine kulturpolitische Funktion wahrzunehmen habe, und wenn ja, in welchem Ausmaß und mit welchen Zügen. Persönlich glaube ich, daß unter den Aufgaben der Südtiroler Hochschülerschaft bestimmt die studentische Interessenvertretung - derzeit zumindest - an erster Stelle steht und somit der gewerkschaftliche Aspekt der hervorstechendste ist. Dennoch aber schient unter den herrschenden Umständen in Südtirol eine Mitbeteiligung der SH als Verband an der kulturellen Tätigkeit nicht auszuschließen oder zu ersetzen. Das bedeutet, daß zu den Interessen der Südtiroler Studenten und der Bevölkerung im allgemeinen auch (und vielleicht sogar in eminenter Weise) die Pflege kulturellen Schaffens gehört: doch scheint es mir klar, daß die Aufgabe der SH hierin nicht dirigistisch aufgefaßt werden kann. Einerseits steht es ihr zu, "Voraussetzungen zu schaffen", d. h. eine Vermittlerfunktion auszuüben, die in unserem Lande besonders notwendig ist. Da die SH als solche keine politische oder kulturpolitische "Linie" hat oder haben soll, kann sich ihre Tätigkeit auf nur eine möglichst offene Vermittlung kultureller Anregungen und Begegnungsmöglichkeiten beschränken, die sie in vielfacher Weise wahrnehmen kann: Tagungen, Ausstellungen, Diskussionen, Presse, Arbeits- und Studienkreise, Vorträge, u. v. a. Größtmögliche Spannweite und Öffnung müßte selbstverständliche Voraussetzung und Verpflichtung sein.

Darüber hinaus aber könnte der SH eine ganz spezifische Rolle zufallen, die sie bisher nur ungenügend oder gar nicht gespielt hat: In ihrer Beziehung zu den verschiedenen "Autoritäten" und kulturellen "Behörden" des Landes könnte (und müßte, m. E.) die Hochschülerschaft jene Ansprüche der jungen und besonders studentischen Generation in Südtirol interpretieren (aber immer in Hinblick auf die Gesamtbevölkerung, um nicht allein korporative Interessen zu verteidigen), denen bislang kaum oder nur wenig Rechnung getragen wurde. Das erfordert aber, daß die SH aufhört, neben vielen anderen offiziellen und halboffiziellen Vereinen und Verbänden (siehe Kulturheim-Insassen im allgemeinen) "staatstragende Institution" zu sein, die im Gesamtapparat des Südtiroler Macht- und Kulturestablishments eben auch ihre brav untergeordnete und stützende Funktion hat und zum Wohlgefallen der Mächtigen ausübt. Statt der altgewohnten und bestimmt bequemen Hörigkeit und Verantwortung nach oben müßte sie "nach unten" ausgerichtet sein und in demokratischer Weise das Bedürfnis nach Erneuerung und überhaupt die Ansichten der Studenten vertreten. Es ist klar, daß dadurch die SH eine bereits ersessene Stellung "im System" aufgeben müßte und sich dem Apparat dialektisch entgegenstellen, statt ihn gegen die sonst vielleicht rebellischen Studenten abzusichern.

Kulturinstitut

2. Südtiroler Kulturinstitut: In der Südtiroler Kulturwelt übt das Kulturinstitut (SK) eine etwas zweideutige Rolle aus: ein Privatverein, der aber maßgeblich die Geschicke des Kulturlebens bestimmt, ist zum "Stein der Weisen" geworden, an dem sich die Geister scheiden und der die Kultur mißt. Es ist hier nicht am Platz (und ich habe auch kein Recht dazu), an den Statuten des SK irgendeine Kritik zu üben: Dieses Problem geht die SH nichts an. Wichtig ist für uns aber die Zusammenarbeit mit dem Kulturinstitut: Die gewisse Blutverwandtschaft zwischen beiden Vereinen, die finanzielle Abhängigkeit, die lange Tradition, die zum Teil sich überschneidenden Aufgabenbereiche sind Grund genug, daß die gegenseitigen Beziehungen wieder einmal überprüft werden.

Grundsätzlich glaube ich, daß eine Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet zwischen SH und SK fruchtbar sein k a n n und an sich wünschenswert ist, um nicht unnützen Kräfteverschleiß zu riskieren und um alle Möglichkeiten kultureller Arbeit in Südtirol angemessen auszuschöpfen. Außerdem stellen schon die schuldige Dankbarkeit und die geldliche Nabelschnur ernstzunehmende Beweggründe dar.

A b e r: Echte Kulturarbeit fordert vor allem Freiheit und Eigenverantwortlichkeit. Und darin müssen wir noch allerhand erkämpfen. Solange z. B. die durchaus materialistisch-kapitalistische Ansicht herrscht und sich durchsetzt, daß "anschafft, wer Geld gibt" (ist das ein "abendländisch-christliches Prinzip"?), ist ein konstruktiver Dialog natürlich unmöglich. Man kann nicht mitarbeiten und zugleich erpreßt werden: ebenso ist es unmöglich, mit einem Partner gleichberechtigt zu planen und zu handeln, der etwa der Überzeugung wäre, daß Studenten und junge Menschen im besten Falle "Impulse, Nachahmungstriebe und Launen" ("Dolomiten" 11.1.68, S. 3) aufbringen und besser daran täten, sich intensiver ihrem Fachstudium zu widmen.

Im Verhältnis "Kulturinstitut - Hochschülerschaft" muß sich also noch viel zum Besseren wenden, um echte Partnerschaft zu ermöglichen. Bestimmt ist es nicht leicht, innere Umstellungen zu fordern, wo der Partner überzeugt ist, in seinem guten Recht zu sein und wo vielleicht grundsätzlich verschiedene Auffassungen über Reife, Kultur, Mitsprache usw. herrschen. Aber vielleicht ist es trotz allem und mit einiger Geduld zu erreichen.

Dann würde sich auch die Lage insofern normalisieren, als das SK nicht unbedingt die einzige Institution sein müßte, mit der die SH zusammenarbeitet (bisher zeichnete sie sich ja durch wenig Phantasie in der Auswahl und Heranziehung von "Institutionen" aus; SVP, SK, KVW, ASGB usw.). Und auch jeder Mißbrauch des einen Partners durch den anderen müßte aufhören. Wir wollen und können das SK nicht beeinflussen, ändern oder erpressen und erwarten uns seinerseits dieselbe Haltung.

Meraner Hochschulwochen

3. Hochschulwochen: In diesem Punkt kam die Krise schließlich zum Ausbruch, weil es gewissermaßen die erfahrbare Synthese der beiden vorhergehenden ausdrückt. Deshalb begrüßt ich die Entschließung des Ausschusses vom 22.12.1967 als positiv, da endlich die gegenseitigen Sphären abgegrenzt und klar aufgezeigt wurden. Hoffentlich widersteht die SH konsequent allen Versuchungen, doch noch im letzten Augenblick durch passende Choreographie oder Ansprachen einer Veranstaltung den Segen zu geben, von deren inhaltlicher Gestaltung und Vorbereitung sie in der Praxis ausgeschlossen oder nur untergeordnet zugelassen wurde. Das bedeutet auch in diesem Fall nicht eine Kriegserklärung an die Hochschulwochen oder das Kulturinstitut: ein Akt unmißverständlicher Konsequenz kann vielleicht endlich jene Früchte tragen, die durch gegenseitige Verhandlungen offensichtlich nicht erreicht wurden.

Nun stellt sich auch hier die Frage, was wir eigentlich wollen. Man wirft uns vor, gegen eine Veranstaltung anzukämpfen, deren "geistig-ideeller Wert auch heute kaum noch jemand in Frage stellen dürfte" (a. a. O.). Aber darum geht es nicht; wir wollen nicht irgendeinen "geistig-ideellen Wert" oder irgendein Niveau: Wie sich unsere Kollegen an allen Hochschulen der Welt um neue Lehrmethoden und vor allem um anderen Gehalt des Gebotenen schlagen, so suchen auch wir nach Kultur, die etwas anderes als museale Bewahrung oder kontemplatives Wiederausgraben vergangener Schätze sei. Im konkreten Einzelfall wird seit Jahren eine pluralistisch aufgebaute Ausrichtung (wissenschaftlich und weltanschaulich) gefordert, eine mehr dialogisch und auf Mitarbeit hinzielende Vortags- und Arbeitsmethode, eine vielseitigere Ausrichtung (nicht nur "humanistisch") und vor allem aktuellere Problematik. Dies im einzelnen zu präzisieren wäre Aufgabe des entsprechenden Arbeitskreises: Aber wie es in solchen Dingen geht, scheinen "technische Schwierigkeiten" dann und wann dazwischengetreten zu sein...

Außerdem wäre es an der Zeit, die Gesamtfrage der Hochschulwochen aufzugreifen und zu besprechen: Welchen Sinn hat diese Veranstaltung heute, wozu dient sie eigentlich? Ist der Zweck die "Pflege des europäischen Denkens", die Allgemeinbildung der Südtiroler Hochschüler, die "christlich-abendländische" Ausrichtung, oder alles zusammen oder noch etwas anderes? Man müßte sich darüber einigen und dementsprechend auf längere Sicht hinaus planen, um den Hochschulwochen ein Gesicht zu geben, das diese Veranstaltung über Südtirol hinaus rechtfertige und nicht nur, weil sie in Südtirol stattfindet. Gerade in diesem Punkt wäre eine unvoreingenommene und offene Auseinandersetzung mit dem Kulturinstitut von größtem Wert.

Damit komme ich zum Ende: Die hier nur oberflächlich und verallgemeinernd aufgeworfenen Probleme verdienen es, meiner Ansicht nach, ausführlicher und gründlicher diskutiert zu werfen. Vor allem möchte ich "die Herren des Institutes" bitten, zu den entsprechenden Punkten einen Diskussionsbeitrag zu liefern: Ich glaube, es wäre im Interesse des Südtiroler Kulturlebens und er Hochschüler, auch die andere Seite zu hören und durch eingehende Auseinandersetzungen allfällige Einseitigkeiten berichtigen zu können.

Von größter Wichtigkeit wäre es dann, daß sich andere Kollegen in dieser Sache zu Wort melden: andernfalls bliebe jeder Druck "von unten" illusorisch.
pro dialog