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Südtirol ABC 3 - Einführung: Option als Dauerzustand

30.7.1988, Buch zur Option, Hrg. R. Messner
Viele Leute in Südtirol meinen, es sei endlich Zeit, vom ganzen Gerede um die Optionszeit wegzukommen, das nur alte Wunden wieder aufreiße und nichts zur Bewältigung der Gegenwart beitrage. Andere - sicher, die Minderheit - sagen, man habe jede Auseinandersetzung mit der Vergangenheit allzulange weggeschoben und dürfe nun nicht länger einfach zudecken, womit man nie richtig fertiggeworden ist.

Auch, weil es mit der "Vergangenheitsbewältigung" in Südtirol so ähnlich aussieht wie in Österreich: man hat sich in den Status der "Opfer des Faschismus (und Nationalsozialismus)" eingebunkert und jede selbstkritische Erinnerung dadurch sozusagen im Keim erstickt und als überflüssig erklärt. In Südtirol betrifft das pikanterweise mit je verschiedenen Vorzeichen den deutsch- und den italienischsprachigen Anteil der Bevölkerung: auf der einen Seite wurde der Nationalsozialismus, auf der anderen der Faschismus größtenteils verwischt oder beschönigt oder gar nostalgisch verklärt.
Das merkt man deutlich, wenn deutsch- und italienischsprachige Südtiroler einander die Vergangenheit vorrechnen. Für die einen sind nur die vom (italienischen) Faschismus zugefügten Wunden der Entnationalisierung wirklich ernstzunehmen und begründen einen Daueranspruch auf Wiedergutmachung, in den Augen der anderen hat die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung und die doch immerhin erhebliche Identifikation der Südtiroler mit den Nazis schon hingereicht, um derartige Ansprüche auf den Opferstatus zu verwirken und jedenfalls die Abrechnung als ausgeglichen erscheinen zu lassen. Jedem sein Faschismus, und so sind wir quitt. Und immer wieder der Faschismus der einen als Gegengift zum Faschismus der anderen mißverstanden!
Solange in Südtirol so zahlreiche Menschen wie bisher versteckt oder offen der Überzeugung sind, eigentlich habe man in jener Zeit das Südtirolproblem - von der einen oder von der anderen Seite - am besten im Griff gehabt und zu lösen versucht, und es im Grunde bedauern, daß jene "Lösungsversuche" vorzeitig beendet wurden, tut eine nähere Information und Auseinandersetzung über die Faschisten- und Naziherrschaft in Südtirol dringend not. Und die Option war schließlich die Quintessenz der nazi-faschistischen "Lösung" des Südtirolproblems: man wollte endlich reinen Tisch machen und eindeutige Grenzen ziehen. Zwischen Staaten, zwischen Völkern, zwischen Kulturen, zwischen Menschen. Die "Option" sollte dazu den Anschein der Freiwilligkeit und der Wahlmöglichkeit hergeben.
Im Grunde war die damals zwischen dem Hitler- und dem Mussolini-Regime vereinbarte Lösung eine gründliche und grausame Vorwegnahme des "je klarer wir trennen, desto besser verstehen wir uns": ein Leitsatz der Südtirolpolitik der Gegenwart, der in dieser Formulierung vom deutschsprachigen SVP-Kulturreferenten (und Optanten) Anton Zelger geprägt wurde und (heute) vor allem die Beziehungen zwischen den Volksgruppen meint, aber genausogut auf die damalige Zeit angewandt werden könnte, wie im historischen Teil dieses Buches nachzulesen ist.
Der Faschismus, der Nationalsozialismus, so manche ihrer Vorläufer und nicht wenige Verfechter des derzeitigen "Volkstumskampfes" in Südtirol haben eine Überzeugung gemeinsam: daß es in einem Land nicht mehrere Völkerschaften, Sprachen und Kulturen nebeneinander oder gar miteinander geben kann und darf. Daher das beständige und übersteigerte Bestreben nach Eindeutigkeit, nach reinem Tisch, nach klaren Grenzziehungen, nach demonstrativer Vorzeige-Identität, nach festgefügten Fronten, nach Ausschließlichkeit. Daher auch die vereinfachende Einteilung in behördlich vorgesehene Volksgruppen, außerhalb derer es kein Heil geben darf, und wo abweichende Identitäten und Vorstellungen der Einzelmenschen nicht vorzukommen haben - höchstens als Option zwischen vorgegebenen und gegensätzlichen völkischen Schicksalsgemeinschaften. Wer kein "Deutscher" ist oder unter so mißverständlichen Umständen nicht "deutsch optieren" will, hat eben "Walscher" zu sein - in der Optionszeit hat man solche Leute provozierend in italienischer Sprache gegrüßt und damit ausgebürgert und zu Verrätern gebrandmarkt. Heute finden es die Parteien und Behörden Südtirols ganz in Ordnung, daß Leute, die sich der amtlichen Einbindung in die Volksgruppe entziehen, eben kein Anrecht auf Sozialwohnungen, Posten in der Verwaltung, Kandidatur bei Wahlen, Ablegung der (existenzwichtigen) Zweisprachigkeitsprüfung usw. haben.
Eine kaum weniger radikale Ausbürgerung als die der Optionsverweigerer!
Die Methoden des Optierenmüssens haben sich im Lauf der Zeiten - je nach den wechselnden Machtverhältnissen und Rahmenbedingungen - geändert und an die Stelle der Diktaturen ohne Möglichkeit zur friedlichen Veränderung sind demokratischere Ordnungen mit einem gewissen Spielraum für Kritik und Mitbestimmung getreten. Doch ein Grundmuster wiederholt sich mit erschreckender Deutlichkeit: der ständige Zwang zum Farbe-bekennen und zur ethnischen Dauer-Kraftprobe, wo - meist uneingestanden, aber doch spürbar - die Hoffnung mitschwingt, es könne den Siegern gelingen, die Verlierer aufzusaugen und/oder aus dem Lande zu verdrängen. Unter dem Faschismus hofften viele Italiener, das Land werde bald so richtig italienisch werden und die "Fremdstämmigen" würden sich schon anpassen - oder verschwinden. Als dann die Nazis kamen, meinten viele deutschsprachige Südtiroler, jetzt sei die Zeit gekommen, zusammen mit dem Mussolini-Regime auch die ungeliebten Zuwanderer, die es nach Südtirol gebracht hatte, wieder loszuwerden und selbst zur deutschen Volksgemeinschaft geschlagen zu werden. Der jeweils Stärkere dachte an Säuberung. Und auch nach dem Krieg wurden es die einen und die anderen nicht müde, zumindest den Versuch zu unternehmen, Südtirol möglichst vollständig in ihre Hand zu bekommen - was auf der Gegenseite natürlich jedesmal Ängste und Reaktionen auslöste. Als der italienische Staat in den 50er Jahren zur Genüge gezeigt hatte, daß er von seinen eigenen Versprechungen nicht allzuviel hielt und im Grunde Mussolinis Versuch zur Entnationalisierung und Unterwanderung fortsetzte, entstand auf Deutschsüdtiroler Seite die Parole vom "Todesmarsch", auf dem sich die Volksgruppe befinde, und entsprechend hitzig und verzweifelt fiel die Reaktion aus (die Attentate der späten 50er und frühen 60er Jahre, unter dem Motto "los von Trient"). Als später - nach Erreichung einer neuen und besseren Autonomie durch das "Südtirol-Paket" und der dadurch bewirkten Stärkung der Position der deutschsprachigen Südtiroler - im Jahre 1981 anläßlich der Volksgruppenfeststellung deutlich wurde, daß es nunmehr im Lande als vorteilhafter galt, sich zur deutschen Sprachgruppe zu bekennen und die Italiener im Lande plötzlich merkten, daß sie im Laufe eines Jahrzehnts um ein Zehntel geschrumpft waren, entstand auf ihrer Seite eine ähnliche "Todesmarsch"-Stimmung, mit entsprechender ethnischer Verhärtung und Radikalisierung.
Die in Südtirol immer noch verfolgte Politik des "je klarer wir trennen, desto besser verstehen wir uns", gibt vor, als oberstes Ziel die Erhaltung der ethnischen Identität und Reinheit und damit die Bewahrung vor Assimilation und Vermischung anzustreben. Doch nicht um die wirkliche Identität und die Behauptung echter Eigenart und Tradition geht es dabei in erster Linie, sondern um einen regelrechten Machtkampf, wie die Geschichte deutlich zeigt.
Darf man sich da wundern, daß kritische Südtiroler sich an die Option erinnert fühlten, als im Jahre 1981 zum ersten Male sämtliche Bewohner Südtirols gezwungen wurden, sich im Rahmen der allgemeinen Volkszählung namentlich und bindend durch die eigene Unterschrift zu einer der drei amtlich vorgesehenen Sprachgruppen zu bekennen, um damit das klare Kräftemessen zwischen den Sprachgruppen und den Triumph des "ethnischen Proporzes" zu ermöglichen?
Denn die neue Südtirol-Autonomie hat nicht nur mehr Kultur- und Sprachenrechte und einen wesentlich besseren Minderheitenschutz, mehr Selbstregierung und eine üppigere finanzielle Ausstattung des Landes gebracht, sondern auch die alles dominierende Doktrin des "ethnischen Proporzes", der geradezu zum regulativen Prinzip und zum bestimmenden Grundsatz der Koexistenz der Volksgruppen erhoben worden ist. Der "ethnische Proporz" wird als der goldene Maßstab für die Gerechtigkeit zwischen den Volksgruppen betrachtet: jede Volksgruppe soll soviel kriegen, als ihr nach ihrer Stärke zusteht - so einfach und so gerecht klingt das. Wobei aber erstens außer acht bleibt, daß natürlich nicht das private Eigentum an Grund und Boden, Wohnungen, Geld und Macht aufgeteilt wird, sondern nur jener Teil des gesellschaftlichen Kuchens, der einem gesetzlichen Verteilungsschlüssel unterliegt. Und was zweitens unberücksichtigt bleibt, ist, daß zahlreiche Bedürfnisse (wie z.B. nach einer Wohnung oder einem Stipendium) typischerweise als Bedarf des einzelnen, nicht der Volksgruppe auftreten und es dem etwa benachteiligten Einzelmenschen, der dem "ethnischen Proporz" zum Opfer fällt, nicht viel hilft, wenn er beschieden wird, daß seine Volksgruppe schon zuviel bekommen habe! So wurde aus einer ursprünglich als Wiedergutmachung gedachten Maßnahme, die den deutschsprachigen Südtirolern eine anteilige Vertretung im öffentlichen Dienst sichern sollte, vor allem in den 70er und 80er Jahren das Um und Auf der Autonomie schlechthin gemacht. Im Autonomiestatut - dem Südtiroler Grundgesetz - war der "ethnische Proporz" für die Verteilung der (rund 7000) Stellen im Staatsdienst vorgesehen. Diese sollten im Maßstab der Stärke der drei anerkannten Volksgruppen (deutsch, italienisch, ladinisch) besetzt werden. Doch wurde die so eingeschränkte und eigentlich als vorübergehende Ausnahmeregelung mit Wiedergutmachungscharakter gedachte Anwendung des "ethnischen Proporzes" im Namen der ethnischen Verteilungsgerechtigkeit auf immer weitere Bereiche ausgedehnt - von Sozialwohnungen bis Stipendien... Als nächster Schritt wurde gefordert, man müsse nicht nur global feststellen, wieviele Angehörige der drei Sprachgruppen es im Lande gebe, um daraus die Proporz-Prozente zu errechnen, sondern auch namentlich von jedem Bürger festhalten, zu welcher Gruppe er sich bekenne, damit er dann bei Bedarf nicht womöglich die einer anderen Volksgruppe zugedachten Leistungen in Anspruch nehme! Und so wurde aus dem ursprünglich nicht sonderlich belastenden Proporzprinzip zur Vergabe von einigen tausend Stellen die Notwendigkeit abgeleitet, jeden einzelnen in Südtirol ansässigen Menschen ethnisch festzunageln, um ihn zuerst beim Abzählen für die Volksgruppe in Abspruch nehmen zu können und dann bei Zuweisung einer Stelle oder Sozialleistung zu Verteilung der Beute auf der richtigen Seite zuzulassen. Das war der Sinn und Zweck jener völkischen Aufschreibung, die 1981 trotz zahlreicher Proteste kritischer und besorgter Minderheiten durchgeführt wurde. Nicht zufällig trat damals in vielen Orten Südtirols eine mehrsprachige, bunte Laienspielgruppe auf und spielte das Brecht-Stück von den Rundköpfen und den Spitzköpfen, wo der große Schädelverteiler angekündigt wird, der demnächst durchs Land ziehen und den einen runden, den anderen einen spitzen Kopf zuweisen werde, damit man ohne Schwierigkeiten sofort Freund und Feind unterscheiden könne und andere Unterschiede - etwa arme oder reiche Kleidung - als nebensächlich zurückgestellt würden.
Durch die Aufschreibung von 1981 wurde die Grenze zwischen den Volksgruppen noch einmal deutlicher gezogen und um vieles penetranter gemacht. Ist es wirklich so abwegig, in einer Gesellschaft und Rechtsordnung, in der man bei zahlreichen Anlässen die richtige "Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung" nachweisen muß und von fast allen sozialen und politischen Rechten ausgeschlossen wird, wenn man dies nicht kann oder will, das Fortwirken jener Mentalität zu orten, die damals in der Optionszeit am brutalsten am Werk war? Und stellt es wirklich eine unberechtigte Provokation dar, wenn die Gegner jener ethnischen Zwangserhebung von einer neuen "Option 1981" sprachen, in der man wieder vor einem folgenreichen "entweder/oder" stand und die Optionsverweigerer schwer bestraft wurden?
Da viele Leute in Südtirol im Jahre 1981 tatsächlich voller Zweifel vor dem neuen Aufruf zum ethnischen Bekenntnis standen und die Kampagne der Gegner der "Option 1981" viel Gehör gefunden hatten, meinten auch damals im Oktober 1981 - über 40 Jahre nach der Option 1939! - die höchsten Würdenträger des Landes, dem Fußvolk die nötigen Anweisungen geben zu müssen. Und vom Landeshauptmann bis zum Bischof, von den Regierungsparteien (SVP, DC) bis zur kommunistischen und neofaschistischen Opposition riefen sie die Bevölkerung auf, sich anläßlich der Volkszählung 1981 dem - natürlich "wahrheitsgetreuen"! - ethnischen Bekenntnis zu stellen. Die einen verharmlosten die Folgen des Bekenntnisses, die anderen drohten mit den Folgen der Bekenntnisverweigerung, der Staat verlängerte mehrmals die Frist für die Eintreibung der Formulare säumiger Bekenner - und schließlich blieben nur noch rund 5500 "Nichtoptanten" übrig, über denen sich nach und nach die ganze Härte des Systems entlud. Was haben schließlich ethnisch zweifelhafte Gestalten (wie Fremd- oder Gemischtsprachige oder einfach Bekenntnisverweigerer) in einer so durch und durch ethnisch organisierten Gesellschaft zu suchen? Wieder wurde gegen die Bekenntnisverweigerer der Vorwurf des Heimatverrats erhoben: diesmal warf man ihnen den "Verrat am ethnischen Proporz", der angeblich "tragenden Säule der Südtirol-Autonomie", vor, und somit die Absicht, diese Autonomie überhaupt zu untergraben und dadurch den Südtirolern schwer zu schaden. Auch die lückenlose Propagandamaschinerie zugunsten des ethnischen Bekenntnisses 1981 funktionierte wie geschmiert - einmütiger, als man es sich in einer Demokratie vorgestellt hätte. Warnende Stimmen wurden in den Wind geschlagen - was man heute vielfach bedauert, da die unheilvollen Auswirkung der ethnischen Aufschreibung von 1981 inzwischen recht deutlich geworden sind: die ethnische Trennungspolitik wurde dadurch ermutigt, die Südtirolautonomie in Verruf gebracht und (nicht so ganz ohne Grund) in die Nähe des Rassismus gerückt und die italienischsprachige Bevölkerung in Unruhe versetzt, da sie sich (begreiflicherweise) "weggezählt" fühlte. Ganz zu schweigen von den schweren Bürgerrechtsverletzungen zu Lasten der Bekenntnisverweigerer und all derer, die ihrer persönlichen Identität Gewalt antun mußten, um in eine der drei zulässigen ethnischen Schablonen hineinzupassen (was vor allem vielen Menschen aus zweisprachigen Familien große Schwierigkeiten bereitete).
Nur die Volkstumskämpfer konnten mit den Ergebnissen der Volksgruppenerhebung von 1981 zufrieden sein: die deutsche (und ladinische) Sprachgruppe erschien im Vormarsch (deutsch: von 63% auf 66%), die italienische im Schwund (von 33% auf 29%), und viele "Gemischte" hatten sich auf die Seite des Stärkeren geschlagen. Die Verweigerungen hielten sich in annehmbaren Grenzen, und die vielen Zweifel über die moralische Legitimität und die politische Vernunft des ganzen Unterfangens waren letztlich übergangen worden.
Trotz der Niederlage der Gegner der "Option 1981" und der nachfolgenden (und vorhersehbaren!) Verhärtung der Fronten im Volkstumskampf gibt es aber heute immer mehr Menschen, die in der Vielfalt der Sprachen, Kulturen, Traditionen und Mentalitäten in Südtirol eine Bereicherung und eine Chance - nicht eine Verdammung! - sehen. Und die im schwierigen Unterfangen des Zusammenlebens zwischen Menschen und Volksgruppen eine positive Herausforderung erleben, der sie sich auch stellen wollen. Deshalb empfinden es viele als unerträglich, daß einen die Fanatiker der ethnischen Separierung und Abgrenzung immer wieder vor jenes "entweder/oder" der Optionszeit stellen möchten: entweder deutsch (und damit anti-italienisch) oder italienisch (und damit anti-deutsch); entweder in der geschlossenen Front der Volkstumskämpfer oder im Abseits der "Verräter"; entweder gehört das Land den einen - und die andern sollen sich unterordnen oder verschwinden, oder es gehört den anderen, und dann ist kein Platz für die einen. Diesem - oft völlig künstlich erzeugten und gesteigerten - Zwang zum Optieren und zu jener "klaren Trennung", die es angeblich braucht, damit man sich "besser versteht", widersetzen sich die "Nichtoptanten" des heutigen Südtirol.
Denn warum sollte es nicht endlich möglich werden, in Südtirol neben den getrennten Schulen und Kindergärten auch da und dort einen gemeinsamen Versuch zu wagen und anhand der gewonnenen Erfahrungen erst darüber urteilen, ob dadurch wirklich der Bestand der ethnischen Identität und der Muttersprache gefährdet wäre? Und warum sollen nicht Experimente ermutigt statt verboten werden, wie beispielsweise der zeitweilige Schüleraustausch zwischen Parallelklassen verschiedensprachiger Schulen - etwa so, daß je zwei Gast-Schüler eine Woche lang die Schule in der anderen Sprache miterleben dürfen? Wäre es wirklich so undenkbar, die ethnische Mauer in der Information endlich ein wenig zu unterlaufen und Medien zu erfinden, die den Blick auch über die eigene Volksgruppe hinaus und bis hinein in die andere zu lenken vermögen? Muß tatsächlich jede der beiden größeren Volksgruppen Südtirols ihre Rückendeckung oder gar Identität vorwiegend aus dem Norden oder aus dem Süden herbeiholen, statt im Lande selber eine gemeinsame Heimat mit Platz für sprachliche, ethnische und kulturelle Vielfalt zu sehen und dies auch deutlich zu machen? Zum Beispiel durch gemeinsame Bezugspunkte und Symbole, Feiern und Anlässe, statt durch gegeneinander gerichtete Vorzeige-Übungen?
Was vor wenigen Jahren noch der Traum weniger Pioniere schien, ist inzwischen um einiges konkreter und handfester geworden. Es gibt nicht mehr nur vereinzelte Menschen im Lande, die sich dem Zwang zum ständigen ethnischen "Farbe-bekennen" entziehen und sich dem ganzen Land und allen seinen Bewohnern zugehörig und verpflichtet fühlen. Immer mehr Menschen gibt es, die in ihrer täglichen Praxis den oben zitierten Leitsatz der Trennung umkehren und daraus etwas anderes und hoffnungsvolleres ableiten: "je mehr wir miteinander zu tun haben, desto besser kennen und verstehen wir uns, und desto mehr fühlen wir uns zusammengehörig".
Das ist jenes "andere Südtirol", das der Vielfalt authentischer Identitäten und der Einheit und Solidarität zwischen den Bewohnern eines mehrsprachigen Landes den Vorzug gibt. Wer so denkt und lebt, verkennt die schmerzliche und dramatische Zwangslage der Optanten und der Nichtoptanten von 1939 nicht und erhebt sich auch nicht zum spröden Richter über die Menschen, die damals ihre gewiß schwierige und in jedem Falle umstrittene Entscheidung trafen. Gerade deshalb aber muß man sich mit aller Kraft gegen jede neue Spaltung des Landes und seiner Menschen wehren und Möglichkeiten erproben, endlich aus dem "Dauerzustand Option" herauszukommen.

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