Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Südtirol - Alto Adige

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Toponomastik. Für eine gegenseitige Anerkennung des Heimatrechts

22.7.1993, FF Die Südtiroler Illustrierte, 22. Juli 1993
"Keine Frage, daß die italienisch-faschistische Umbenennung der Orte Unrecht der Sieger war - ebenso wie die Annexion selbst, übrigens. Doch sind viele dieser Namen den Südtirol-Italienern (rund 30% der Bevölkerung) mittlerweilen vertraut und heimisch.

Sie kraft Gesetzes ausmerzen zu wollen, wird von manchen als formelle Aufkündigung ihres Heimatrechts in Südtirol empfunden. Jetzt eine Offensive zur ethnischen Flur-Namen-Bereinigung zu starten, muß neue Ängste wecken und die Autonomiebereitschaft der Südtirol-Italiener auf eine harte Probe stellen. Daß den deutschsprachigen Südtirolern an einer gesetzlichen Neuregelung nicht viel liegt, hat kürzlich eine Umfrage der (deutschsprachigen) illustrierten Wochenzeitung FF gezeigt. Wer den ethnischen Streit in und um Südtirol wieder anfachen will, möge sich munter ins Getümmel um die Toponomastik stürzen: die Mobilmachung, die 1991 den Selbstbestimmungsrufern mißlungen ist, könnte nun dank des Zankes um die Ortsnamen doch noch Erfolg haben - auf beiden Seiten! Wer hingegen das gute Zusammenleben im Rahmen der Autonomie und des europäischen Zusammenwachsens im Sinn hat, sollte sich lieber um die Beheimatung und Verwurzelung der Menschen aller Sprachgruppen in Südtirol bemühen - die wird eines Tages sowieso dazu führen, daß erfundene Kunstnamen wieder absterben und verschwinden. Das Verordnen würde heute ähnlich böses Blut schaffen wie seinerzeit die faschistischen Dekrete. "

So schrieb ich vor fünf Monaten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die aus Deutschland geglaubt hatte, für Pahl und Konsorten Beifall klatschen zu müssen.

Leider war es keine besonders schwierige Prophezeiung, die nun pünktlich in Erfüllung gegangen ist. Der Streit um die Gesetzgebung in Sachen Ortsnamen hat den Landtag blockiert und dem MSI einen höchstwillkommenen Anlaß geschenkt, sich in den Augen so mancher italienischsprachiger Südtiroler doch noch als nützlich zu erweisen und so vielleicht seinen schon sicher geglaubten Abstieg zu bremsen. Und will man etwa zum x-ten Mal beweisen, daß die Italiener in Südtirol nicht voll-mündige Verhandlungspartner sind, sodaß wenn's Schwierigkeiten mit ihnen gibt, Vater Staat mit Mutter SVP noch besser zu Rande kommt, als die Kinder untereinander? Aber das römische Kaninchen aus Durnwalders Zylinder kann die Einigung auf lokaler Ebene nicht ersetzen. Hoffentlich kann die sommerliche Pause helfen, sich gegenseitig aus der Umstrickung wieder etwas zu lösen - doch sollte man dieses emotionsgeladene Thema wirklich nicht gerade in Vorwahlzeiten angehen.

Drei Kriterien sollten dabei auf keinen Fall übersehen werden:

1. die deutliche Anerkennung des Heimatrechts aller in Südtirol lebenden Menschen und Volksgruppen: alle müssen sich auch wirklich heimisch fühlen können;

2. die grundsätzliche Mitsprache aller Volksgruppen in den Wesensfragen der Autonomie; "nihil de nobis sine nobis", nichts darf über uns ohne uns entschieden werden, hieß es im alten Österreich, und das muß für uns heute auch gelten, wenn man nicht will, daß sich die eine oder andere Volksgruppe aus der Solidargemeinschaft mit den anderen verabschiedet oder ausgegrenzt fühlt;

3. die Sicherung gegen Majorisierung in Grundfragen: weder dürfen die deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolern vom Staat einfach nach dem Gesetz der Mehrheit behandelt werden, noch die italienisch- und ladinischsprachigen Südtiroler im Lande von der deutschsprachigen Mehrheit. Die "normale" 51%-Demokratie ist da nicht zu brauchen, es sind festere Garantien erforderlich, wenn man Sicherung und Loyalität schaffen will.

Diese Grundsätze sollten in guten und schlechten Zeiten gelten und nicht etwa dann über Bord geworfen werden, wenn man sich gerade stark genug fühlt oder glaubt, es sei eine historisch günstige Chance da - vielleicht weil die "Gegenseite" im Moment geschwächt dasteht.

Auf dieser Grundlage müßte es in Südtirol doch möglich sein, einen relevanten Teil der Ortsnamen so zu behandeln, daß alle Sprachgruppen darin vertraute Elemente ihrer Tradition wiedererkennen - und gleichzeitig so manchen unnützen Tolomei-Ballast wieder loszuwerden. Und für die Menschen in Südtirol - für alle! - würde es einen großen Unterschied ausmachen, ob die Anerkennung der ihnen vertrauten Ortsnamen nur aus Verträgen und Gesetzen "von oben" stammt, oder ob sie darin eine im Lande gewachsene demokratische Entscheidung erblicken können, die ruhig auch etwas großzügig (von allen Seiten) ausfallen darf, ohne daß jemandem eine Perle aus der Krone fällt. Das würde nämlich der ganzen Angelegenheit eine wesentlich andere Note geben, als der unselige Streit um historische, juristische, linguistische oder politische Berechtigung. Ob "Vipiteno" nämlich als von Tolomei verordnet oder von den heute in Südtirol lebenden Menschen als Geste der gegenseitigen Anerkennung des Heimatrechts verwendet wird, macht einen großen Unterschied.

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