Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Südtirol - Alto Adige

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Ethnischer Proporz - wirklich wünschenswert?

1.11.1984, Slovensky Vestruk, Klagenfurt, November 1984
Ein Quotensystem, das bestimmte Vorteile verhältnisgerecht verteilt, scheint auf dem ersten Blick verführerisch. Hat man doch immer wieder über die mangelnde Verteilungsgerechtigkeit zu klagen.

.. Da wäre es doch besser, die Dicken und die Dünnen, die Großen und die Kleinen, die Frauen und die Männer, die Alten und die Jungen bekämen gemäß ihrer gesellschaftlichen Anzahl alles das, was ihnen proporzgemäß zusteht (die Verteilungskämpfe dürften dann nur mehr innerhalb der Quotengruppen stattfinden).

Ein Quotensystem gar, das Benachteiligungen ausgleichen oder gar wiedergutmachen soll, scheint noch verführerischer.

Zu bedenken ist aber, was die Erfahrung in Südtirol lehrt, wo der sogenannte "ethnische Proporz" in vielen Bereichen schon seit Jahrzehnten herrscht und immer mehr zum regulativen Prinzip des Zusammenlebens der Volksgruppen gemacht wird, wie es die stark deutschnationale "Südtiroler Volkspartei" will und der italienische Staat ihr zugesteht. Nämlich:

1. Der Proporz favorisiert die Starken, d.h. er wirkt sich im jeweiligen Anwendungsbereich zugunsten größerer bis großer Gruppen (über 40%, möglichst sogar über 50%) aus; kleinere Gruppen (unter 10%, aber auch schon unter 30%) tun sich damit schwerer, vor allem wenn die Verteilung auf sehr kleiner Skala stattfindet: nicht immer hat die Kleingruppe X oder Y, der gerade eine Briefträgerposition zusteht, einen Anwärter dafür, während vielleicht gerade ein Totengräber Arbeit sucht. So entsteht nicht nur eine recht enge Programmierung durch den ethnischen "numerus clausus", sondern auch der Anreiz, sich der größten Gruppe zuzugesellen, wo die Chancen naturgemäß am breitesten gestreut sind.

2. Ein ethnischer oder Sprachgruppenproporz kann dazu führen, daß die ethnische Unterscheidung, Trennung oder säuberliche Abgrenzung vorausgesetzt und gleichzeitig auch hervorgerufen wird; das macht bei der Besetzung von UNO-Posten, wo es sich ja um verschiedene Staatsangehörige handelt, nicht soviel aus, wirkt sich aber bei zusammenlebenden Sprachgemeinschaften nur allzuleicht als Anreiz zum Volkstumskampf aus, weswegen ja gerade die Volkstumskämpfer so daran interessiert sind. Ein starrer Bekenntniszwang in Verbindung mit einem solchen Proporz blutet die schwachen Gruppen langsam, aber sicher aus.

3. Allzuleicht kann es vorkommen - wie beispielsweise das Südtiroler Gesundheitswesen zeigt - daß ethnischer Proporz auf Kosten der beruflichen Qualifikation durchgesetzt wird.

Dies vorausgeschickt, ist allgemein zu bemerken, daß eine gesellschaftlich schwächere Minderheit ja in der Tendenz überrepräsentiert sein müßte, wenn man Ausgleich und Gerechtigkeit anstrebt.

Um dies wirksam und ohne unerträgliche Diskriminierung oder Eingliederungszwang in den einen oder anderen Block herbeizuführen, kann man vielleicht bessere Alternativen bedenken. Zum Beispiel:

a) einen integrativen und verständnisvoll gehandhabten Sprachenproporz, der nicht auf gegenseitige Abgrenzung und ethnisches Tauziehen hinarbeitet, sondern auf eine möglichst effektive Repräsentation der gesamtgesellschaftlichen Zusammensetzung (in unserem Fall: der muttersprachlichen Vielfalt): das Ziel wäre, eine tatsächliche und eher sogar überbetonte Präsenz der je schwächeren Sprachgruppe auf allen Ebenen zu erreichen, und in diesem Sinne eine gezielte Ämter- und Postenbesetzung zu betreiben. In der Tendenz wäre ja der "natürliche Proporz" anzustreben, der aber in vielen gesellschaftlichen Bereichen noch nicht erreicht ist (zwischen den Geschlechtern, zum Beispiel), aber wohl nicht vor allem durch ein strenges Quotensystem zu erstreben ist (wennschon, dann müßten es die schwachen Gruppen fordern: z.B. die Frauen, die Slowenen, usw.)

b) wenn ein Quotensystem zum ethnischen Ausgleich angestrebt wird, ließe sich ja auch die Möglichkeit erproben, einen bestimmten Proporzsatz von Stellen und Ämtern für nachweislich zweisprachige Funktionsträger oder Bedienstete zu reservieren: so würde der Anreiz für Mehrsprachigkeit und Kommunikation geschaffen, ohne eine Trennmauer zwischen Volksgruppen zu ziehen.

pro dialog