Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Südtirol - Alto Adige

Biographie Schriften - Alexander Langer
Albanien Europa Ex-Jugoslawien Friedenspolitik Grüne Kultur Israel/Palestina Lebensstile Nord/Sud Ost/West Politik Religion Südtirol - Alto Adige
Umweltpolitik Zusammenleben
Bibliographie Erinnerungen Nachlass
(22) Cassar-Simma: Trag Sorge - Abbi Cura - Take Care (11)

Die dominierende Minderheit: Volksgruppen- und Minderheitenpolitik - Südtirol nach dem "Paketabschluß"

1.10.1988, hg 1988
Ob der nun beschlossene Abschluß allerdings auch wirklich die Beendigung des zwischenstaatlichen und innerstaatlichen rechtlichen und politischen Streits um die Auslegung und Anwendung des Pariser Vertrages (abgeschlossen zwischen Italien und Österreich unter den Außenministern Gruber und De Gasperi 1946) und die Südtirolautonomie bedeuten wird, ist nicht so eindeutig zu beantworten.

Denn die SVP hat ihre Zustimmung an eine Reihe von weiteren Bedingungen geknüpft, deren Erfüllung teilweise wenig wahrscheinlich scheint (auch weil sie deutlich über das Autonomiestatut hinausgehen), und auf italienischer Regierungsseite lassen sich recht deutlich gewisse Vorbehalte erkennen: Man wird vielleicht, Magnagos SVP zuliebe, einige rechtsstaatlich fragwürdige Normen erlassen, um den Streit aus dem Weg zu räumen, und hofft dann auf zukünftige Säuberungsaktionen der Höchstgerichte, um das Übermaß an ethnischer Festlegung und Abgrenzung wieder aus der Gesetzgebung verschwinden zu lassen, und dabei vielleicht auch gleich ein Stück Autonomie mitzubeseitigen.

Insofern gleicht der nun erreichte "Paket"-Abschluß nicht unbedingt einem echten Friedensschluß, sondern eher einem mißtrauischen Kompromiß, der - im Namen des jeweils kleineren Übels - das ständige Tauziehen zwischen den Volksgruppen in Südtirol und zwischen der Südtirolautonomie und dem Zentralstaat eher verewigt denn bereinigt. Und obwohl die Rahmenbedingungen für dauerhafte Streitbeilegung ziemlich günstig sind (Fortschritte im Prozeß europäischer Einigung, Freundschaft zwischen Österreich und Italien, zunehmende Anerkennung der Minderheitenrechte, bessere Absicherung der Menschenrechte, usw.) fehlt es vor allem immer noch erheblich an einer Grundvoraussetzung: nämlich an einer echten und tiefgreifenden Befriedigung zwischen den Volksgruppen in Südtirol. Der Kompromiß zwischen SVP und römischer Regierung wurde nur an der Spitze und zwischen den Mächtigen geschlossen, die ihre Interessensphären neu abgegrenzt und geregelt haben, aber im Lande selbst haben in den letzten zehn Jahren der Frieden und die Verständigung zwischen den Volksgruppen eher Rückschritte als Fortschritte gemacht. Der von oben her angeheizte und systematisch ausgebaute Volkstumskampf hat den Boden für einen Neuanfang und für eine Phase der positiven Zusammenarbeit eher vergiftet und belastet - bis hin zu neu aufbrechenden Symptomen ethnischer Intoleranz, des Hasses und der Gewaltanwendung -, und es wird deshalb nicht so leicht sein, aus einem bürokratisch-juristischen Kompromiß, der vor allem das Kleingedruckte regelt, nun Energie und Begeisterung für ein besseres und überzeugtes Zusammenleben zu schöpfen, das bislang als gefährliche "Vermischungspolitik der Verbrüderungsapostel" diskreditiert und behindert wurde.

Versäumte Chancen

Daß die Volksgruppen- und Autonomiepolitik in Südtirol wachsende Verhärtung und Blockbildung mit sich bringen würde, war nicht unbedingt von vornherein festgeschrieben, sondern hängt eher mit zahlreichen versäumten Chancen zusammen. So wurden beispielsweise häufig die Fehler und Übertreibungen der Vergangenheit mit neuen Fehlern und Übertreibungen korrigiert, und in gewissem Sinn kann man sagen, daß das Pendel zwischen den Volksgruppen irgendwie ständig hin- und hergeht: Benachteiligung der Italiener unter der k.u.k. Monarchie, Unterdrückung der Tiroler nach der Annexion an Italien und insbesondere unter dem Faschismus, deutsche Revanche in den kurzen Jahren nationalsozialistischer Besetzung, Fortsetzung der Benachteiligung der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler auch nach dem Sturz des Faschismus und bis herauf in die 60er Jahre, Tendenz zur Umkehrung dieser Situation seit dem Ausbau der neuen Landesautonomie (zweite Hälfte der 70er Jahre).

Die Bereitschaft zum positiven Kennenlernen und Zusammenleben zwischen den Sprachgruppen in den 70er Jahren wurde nicht nur genutzt, sondern systematisch verfemt und als "Vermischungspolitik" oder "Mischkultur" abgetan und zerschlagen. Demokratische und sprachgruppenverbindende Kritik am "Paket" und Mahnungen gegen die Übersteigerung des Volkstumskampfes wurden diffamiert und in den Wind geschlagen.

So ist nun heute, trotz der günstigen Rahmenbedingungen - unter denen die wirtschaftliche Prosperität des Landes einen hohen Stellenwert einnimmt - und trotz weitgehender Verwirklichung des Südtirol"pakets" vieles schwieriger geworden, und die oft schon konsolidierten Verhärtungen lassen sich nicht so leicht wieder auflösen.

Vielleicht muß man sich jedoch die Grundzüge des "Sonderfalles Südtirol" im internationalen Kontext in Erinnerung rufen, um die gegenwärtige Lage richtig einschätzen zu können.

Denn bei allen Schwächen und aller Kritik muß festgehalten werden, daß Südtirol international zu den erfolgreichsten Beispielen einer Volksgruppen- und Minderheitenpolitik gehört, die tatsächlich den Schutz und die Entfaltung der betroffenen Volksgruppe ermöglicht und gesichert hat, wozu vor allem die Politik der "Südtiroler Volkspartei" und der Republik Österreich einerseits und der demokratischen, autonomie- und minderheitenfreundlichen Kräfte Italiens andererseits entscheidend beigetragen haben.

In Südtirol lebt eine besonders kompakte und gruppenbewußte, besonders überlebenswillige, aber auch besonders gut geschützte und anerkannte Tiroler Minderheit deutscher und ladinischer Muttersprache, die 1918 gegen ihren Willen zu Italien geschlagen wurde und in deren Territorium im Lauf der letzten 60-70 Jahre auch zahlreiche Italiener (früher mit gezielter staatlicher Förderung) eingewandert sind, die heute ein schwaches Drittel der Bevölkerung ausmachen. Südtirol ist heute eine autonome Provinz der Republik Italien, im Rahmen der ebenfalls autonomen Region Trentino-Südtirol, und hat vergleichweise breite und inhaltsreiche Gesetzgebungs- und Regierungsbefugnisse und die nötigen Finanzmittel, um diese auch ausüben zu können

Der Minderheitenschutz, der im Laufe der Jahrzehnte vor allem unter Führung der SVP und gegen den Widerstand der italienischen Zentralregierungen von der Tiroler Minderheit erkämpft wurde, hat sich insgesamt dahingehend ausgewirkt, daß die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung seit den 60er Jahren relativ und absolut zunimmt, während die italienischsprachige Bevölkerung nach Jahrzehnten der starken Einwanderung (1920-1960 etwa) wieder abnimmt:

Ergebnisse der Volkszählungen: Wohnbev. nach Sprachgruppen von 1900 bis 1981

Jahr Deutsche % Italiener % Ladiner % Andere & insges. %

1900 190.189 91,4 8.621 4,1 8.907 4,3 266 0,1 207.983 100

1910 213.352 92,2 7.054 3,0 9.453 4,0 1.597 0,7 233.459 100

1921 190.211 84,4 26.842 11,4 9.910 4,2 -- -- 235.963 100

1961 232.717 62,2 128.271 34,3 12.594 3,4 281 0,1 373.863 100

1971 260.351 62,9 137.759 33,0 15.456 3,7 475 0,1 414.041 100

1981 279.544 64,9 123.695 28,7 17.736 4,1 9.593 2,2 430.568 100

· In den Jahren 1900 und 1910 wurde die anwesende Bevölkerung, bei den darauffolgenden Zählungen die Wohnbevölkerung erhoben.

· Inländer ohne gültige Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung und in Südtirol ansässige Ausländer.

Quelle: Südtiroler Landesregierung (Hg.): Südtiroler Handbuch 1987, Bozen/Bolzano.

Die Autonomiereform durch das "Paket", zu Beginn der 70er Jahre, hat die Forderung "los von Trient" (Trennung der Südtirol-Autonomie von der Nachbarprovinz Trient) im wesentlichen erfüllt und einen merklich besseren Schutz der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler mit sich gebracht. Diese Reform gründete auf dem unausgesprochenen Verzicht beider Seiten auf ihre maximalen Ansprüche (Selbstbestimmung und Loslösung von Italien einerseits, Italianisierung und Assimilierung andererseits).

Inhaltlich können die Schwerpunkte der Autonomie- und Volksgruppenpolitik in Südtirol schematisch folgendermaßen definiert werden:

· Erhaltung der Sprachgruppen in ihrer Eigenheit; Möglichkeit zur sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Entfaltung; kein Assimilationsdruck;

· territoriale Autonomie des mehrsprachigen (d.h. mehrheitlich deutschsprachigen) Gebietes und Schutz vor Entnationalisierung auch durch Einwanderung; Einbindung in ein umfassendes System gegenseitiger Garantien und Balancen, die auf ständigen Ausgleich zielen und gewissen Zwang zur Kooperationsbereitschaft einschließen;

· Sicherung der Sprachen- und Kulturrechte - vor allem durch die Schule - und der Verbindung zum deutschen Sprachraum;

· Zwei- und z.T. Dreisprachigkeit der Verwaltungen im Lande und des öffentlichen Lebens;

· Garantien für angemessene Teilhabe aller Sprachgruppen am öffentlichen Leben im Lande, Absicherung gegen Verdrängung.

Die Tiroler Minderheit ist im Lande dominierend geworden

So sind also in Südtirol die öffentlichen Einrichtungen auf lokaler Ebene mehrheitlich und oft nahezu völlig in Händen der Vertreter der deutsch- (und, in den betroffenen Tälern, ladinisch-) sprachigen Bevölkerung; die staatlichen Einrichtungen sind im wesentlichen (noch) von Italienern dominiert, wobei aber eine Verschiebung schon deutlich spürbar im Gang ist; die Schulen sind getrennt und werden von jeder Volksgruppe selbst verwaltet.

Die deutsche Sprache ist in Südtirol der italienischen gesetzlich gleichgestellt, wobei allerdings die Durchführung dieses Grundsatzes noch immer nicht voll und befriedigend erreicht worden ist. Aber es ist eine ständige Verbesserung der Rechsstellung und der tatsächlichen Relevanz der deutschen Sprache zu bemerken.

Dies gilt jedoch nicht für das Ladinische. Zwar findet derzeit eine bemerkenswerte Renaissance ladinischen Selbstbewußtseins und ladinischer Sprach- und Kulturpflege statt, aber der Anwendungsbereich der ladinischen Sprache und ihr Rechtsschutz sind viel bescheidener und erstrecken sich im wesentlichen nur auf zwei Täler.

So ist die traditionelle Tiroler Minderheit im Lauf der letzten 25 Jahre rechtlich, politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell dermaßen erstarkt, daß man heute sagen kann, daß die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung in Südtirol gegenüber der lokalen italienischsprachigen nicht nur absolut, sondern auch vergleichsweise die stärkere Gruppe darstellt, was umgekehrt zu einer gewissen Verunsicherung der Italiener im Lande geführt hat. Wenn man zudem bedenkt, daß im Laufe der letzten Volkszählungsperiode (1971-1981) die italienische Sprachgruppe um ein Zehntel ihres Bestandes abgenommen, die deutsche und ladinische hingegen merklich zugenommen haben, wird man dies leichter verstehen können.

Ferner muß hier angemerkt werden, daß die SVP seit vielen Jahren und nunmehr aus einer Position der Stärke heraus die Zuspitzung des Volksgruppengegensatzes und der Errichtung zweier voneinander weitgehend getrennter ethnozentrischer Subsysteme betrieben hat. Jede Gelegenheit zur Trennung und Flurbereinigung zwischen den Volksgruppen wird seit Mitte der 70er Jahre mit zunehmender Intensität wahrgenommen, was in Schule, Kultur, Sport, Geselligkeit, Wohnbau, Wirtschaftspolitik, Medienwesen bis hin zur Kirche und Gewerkschaft deutlich feststellbar ist.

"Rückverdeutschung" als Ziel - Verkürzung der Autonomie auf "Proporz"

Die Volksgruppentrennungspolitik muß als Ausdruck verstanden werden, die Südtirol-Autonomie zu einer möglichst weitgehenden "Rückverdeutschung" des Landes zu nutzen, wobei man am liebsten die Situation vor 1918 wiederherstellen würde (auf die oft genug ausdrücklich Bezug genommen wird).

Das hat aber auch dazu geführt, daß von SVP-Seite - und mithin von seiten der Südtiroler Landes- und Kommunalbehörden, die von ihr dominiert sind - eine zunehmende Verkürzung der Autonomie auf ihre vorgebliche Quintessenz stattfindet: Der "ethnische Proporz" und die Zweisprachigkeitspflicht der öffentlichen Bediensteten (mittels Prüfung festzustellen) sind zum Inbegriff der Autonomie- und Volksgruppenpolitik hochstilisiert worden und die diesbezügliche SVP-Politik wird schlechthin als die einzig mögliche hingestellt, wenn man nicht zum Autonomiefeind gestempelt werden will.

Dabei wurde wenig Rücksicht auf die tatsächlichen Schwierigkeiten genommen: beispielsweise auf die der Italiener, befriedigend deutsch zu lernen (zum Vergleich: man stelle sich vor von den Deutschkärtner Beamten würde ab sofort eine Slowenischprüfung als Voraussetzung für ihre Einstellung verlangt); und unberücksichtigt blieb vor allem die Beschäftigungslage der italienischsprachigen Bevölkerung, wo der öffentliche Dienst - neben der heute krisengeschüttelten Industrie - zu den am stärksten verbreiteten Erwerbszweigen gehört und durch den "Proporz" und die gleichzeitige Schrumpfung der Industrie-Arbeitsplätze ein Engpaß entstanden ist.

Dazu kommt noch die schon erwähnte scharfe Trennungspolitik zwischen den Volksgruppen, die jeden Versuch italienischsprachiger Südtiroler, sich den Gegebenheiten der Südtirolautonomie anzupassen, als vergeblichen Anlauf erscheinen läßt, positiv von der deutschsprachigen Bevölkerungsmehrheit akzeptiert zu werden. Die in der Zeit der neuen Autonomie vollzogene Umgewichtung der ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Relevanz und Potenz der Volksgruppen hat ein übriges dazu getan.

Die Autonomie ist reformbedürftig

Heute, da die Existenz- und Zukunftssicherung der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler (auch dank der erwähnten SVP-Politik) als gewährleistet angesehen werden können, geht es vor allem darum, etwas vom Trennenden zwischen den Volksgruppen ab- und etwas Gemeinschaftsstiftendes aufzubauen.

Die Linie einer möglichen Autonomiereform könnte etwa folgendermaßen skizziert werden:

· Abbau allzu scharfer und allzu instituzionalisierter Volksgruppentrennung, wie z.B. der Festschreibung der Volksgruppenzugehörigkeit oder des übermäßigen Proporz-Zwanges bei sozialem Bedarf, Wohnungsvergabe und Stellenbesetzung;

· Verbesserung der tatsächlichen Zweisprachigkeit der Verwaltungen und im öffentlichen Leben; Förderung der tatsächlichen Zweisprachigkeit der Menschen (bzw. Mehrsprachigkeit);

· Entwicklung von Gemeinsamkeit und Begegnung über die Grenzen der Sprachgruppen hinweg (gemeinsame Schulversuche, Jugendeinrichtungen, Kulturveranstaltungen, Freizeiterlebnisse,...);

· Ausbau der Autonomie als Selbstverwaltung und Selbstregierung, die gemeinsam von allen Volksgruppen im Lande getragen wird.

Der "ethnische Proporz"

Der "ethnische Proporz", völlig zu Unrecht neuerdings zum ureigensten Heiligtum der Südtirolautonomie erhoben, tritt heute in mehreren Formen auf (Ämterproporz, Stellenproporz im öffentlichen Dienst, Sozialproporz vor allem bei Wohnungen). Zwar ist nur ein relativ kleiner des gesamten Südtiroler Arbeits- und Wohnungsmarktes dem Proporz unterworfen, d.h. nach dem System ethnischer Quoten zur Verteilung gebracht, doch frißt sich dieses diskriminierende System tief ins Bewußtsein.

Der "ethnische Proporz" als Verteilerschlüssel wurde gefordert und durchgesetzt, als deutschsprachige Südtiroler bei der Vergabe von Staatsstellen und sozialwohnungen in vielfacher Hinsicht diskriminiert waren. Nachteilig wirkten sich u.a. aus: die Unkenntnis der italienischen (Prüfungs)Sprache, das Fehlen von Schulbildung, das Abhalten von Wettbewerbsprüfungen außer Landes und vor fremden Kommissionen, die gefahr der Versetzung außer Landes, die ihnen fremde Verwaltung und das Fehlen politischer Protektion, das fast rein italienische Milieu, die Konkurrenz mit Bewerbern aus ganz Italien, usw.

Der "ethnische Proporz" sollte also Wettbewerbshindernisse ausgleichen und Quoten für deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler im Verhältnis zur Stärke der Sprachgruppen im Lande reservieren, wobei zudem noch ein Wiedergutmachungsbonus bis zum Jahr 2002 vorgesehen ist, aufgrund dessen sogar mehr als 70% der Stellen und Wohnungen für deutsch- und ladinischsprachige Bewerber vorbehalten sind.

Heute haben sich jedoch die Voraussetzungen für diese Regelung stark geändert: Prüfungen können deutsch abgelegt werden, Kommissionen sind paritätisch, Versetzungen außer Lande unzulässig, landeseigene Behörden verwalten die Sozialleistungen und Wohnungen, das Schuldefizit ist aufgeholt, die Zweisprachigkeitspflicht schränkt den Bewerberkreis stark ein; mit anderen Worten: die Wettbewerbsfähigkeit ist wiederhergestellt. Gewisse Unterschiede in der sozialen Struktur der Volksgruppen mögen noch eine relative Verzerrung und eine gewisse Einseitigkeit des Arbeitsmarktes mit sich bringen, aber eigentlich besteht keine Notwendigkeit mehr, durch "ethnischen Proporz" die Kriterien des Bedarf und der Eignung zu übergehen. Das Übermaß an ethnischer Trennung, Identifizierung und Festschreibung (also an Diskriminierung, im eigentlichen Sinn des Wortes) ist nicht mehr durch einen außergewöhnlichen Notstand zu rechtfertigen, und vor allem bei Sozialleistungen, Wohnungen u.dgl. müßte jeder Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit sofort und ersatzlos abgeschafft werden.

Südtirol als Vorreiter einer "Kultur des Zusammenlebens"?

Südtirol war bisher ein Beispiel für eine vergleichsweise ungewöhnlich erfolgreiche Minderheiten- und Volksgruppenpolitik.

Wenn das so bleiben und fortentwickeln soll, braucht es Konsens zwischen den Sprachgruppen im Lande und demokratische Partner außerhalb. Beides ist heute durch die Fehler und die versäumten Chancen der letzten Jahrzehnte und durch die systematisch geförderte ethnische Blockbildung schwer gefährdet.

Es bleibt nicht mehr viel Zeit für eine demokratisch herbeigeführte Korrektur und Tendenzwende. Die Sturmzeichen sollten nicht länger übersehen werden. Nur eine sprachgruppenübergreifende Politik kann diese Korrektur leisten.

Dabei könnte gerade Südtirol zu einem aussichtsreichen Ausgangspunkt nicht bloß für erfolgreiche Minderheitenpolitik, sondern auch für den Aufbau einer Kultur des Zusammenlebens werden.

Situationen gleichzeitiger Präsenz mehrerer Volksgruppen oder Sprachgemeinschaften auf demselben Gebiet werden sich in Europa auch in naher Zukunft mehren - es würde sich also lohnen, die positiven Ansätze, die sich in Südtirol erproben ließen, auch aus dieser Sichtweise anzugehen und auszubauen.



aus: R. Bauböck, G. Baumgartner, B. Perchinig, K. Pinter (Hg.), ... und raus bist du! Ethnische Minderheiten in der Politik, ........, 1988
pro dialog