Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Politik

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Hände Weg!

1.5.1964, Aus: Offenes Wort
Ist sie wirklich ein so schmutziges Geschäft, die Politik? Daß alle nur raten, die Hände davon zu lassen? Besonders geht das uns Jugendliche an. Wir interessieren uns - wenigstens in der großen Mehrzahl - nicht oder kaum für Politik.

Die Zeitung beginnen wir von rückwärts (Sportnachrichten) nach vorne zu lesen, dringend bis zur Filmseite vor und legen sie dann meistens wieder weg. Wahlen interessieren uns auch nicht, da wir ja "nicht direkt betroffen" sind. Höchstens, daß wir uns einmal gut unterhalten, wenn wir einem recht aufgeregten Redner zuhören, wie er seine Ware anpreist. Dann gehen wir wieder zufrieden nach Hause.

Ist das genug, sind wir dadurch unserer Pflicht als geistig wache, junge und schulisch gebildete Menschen nachgekommen? Haben wir dadurch unser Teil beigetragen zur politischen Situation des Staates?

Sehen wir uns die konkrete Situation der Jugend an. In der westlichen Welt leben wir in Freiheit und Demokratie, tun aber gar nichts für sie. Ich glaube, wir dürften uns dann nicht wundern, wenn sie eines Tages nicht mehr da ist. Wir Jugendliche müssen positiv und aufbauend der Demokratie und dem demokratischen Staat gegenüberstehen. Er ist uns aufgegeben, und wer soll ihn morgen verwalten und regieren, wenn nicht die Jugend von heute?

Zum Teil sind an dieser seltsamen Lage, die bestimmt nicht zum Vorteil des Staates und der politischen Meinungsbildung beiträgt, die Lehrer schuld. Sogar in schwerem Maß, denn sie bagatellisieren großteils das Fach "Staatsbürgerkunde" oder "Politische Erziehung", im Geschichtsunterricht weisen sie vielfach auf die politische Lage der Demokratie kaum hin und tun also gar nichts, um dem Jugendlichen ein klares Bild von der Demokratie zu vermitteln. Der politische Unterricht wird höchstens als ein bequemer Lückenbüßer für solche Stunden angesehen, mit denen man sowieso nichts anfangen könnte. So kommt es, daß heutige Jugendliche mit 19 oder 20 Jahren die Mittelschule verlassen, um auf die Universität oder in den Beruf zu gehen, und vom Staat nur dann eine Ahnung haben, wenn sie sich selbst dafür interessiert haben. Das ist ein schwerer Fehler, den alle Schulprogramme nicht beseitigen können, solange die Professoren sich nicht gewissenhaft daran halten.

Dann: die Haltung der Jugend selbst. Alles ist wichtiger als Staat und Politik. Daran wird schon jemand denken... An das neue Automodell wird ja sicher auch jemand denken, aber wir finden es jedenfalls interessanter als jene Fragen, die unser Leben in der Gemeinschaft, im Staate, betreffen. Wir haben oft kaum eine klare Vorstellung von den Parteien, die um die Macht kämpfen, von ihren Programmen und ihrer Einstellung. Wir begnügen uns vielleicht mit einer allgemein antikommunistischen Haltung, denken aber nicht daran, daß es außer diesem noch eine Reihe anderer Probleme gibt, die wesentlich sind für die Leitung eines Staates.

Und vor allem ist es Aufgabe der Jugend, die Demokratie, die wir heute im Gegensatz zu unseren Vätern und Großvätern haben dürfen, kennen und schätzen zu lernen, um sie zu kämpfen und sie zu verteidigen, sie aber vor allem als wahren, für uns realen Wert anzuerkennen. Und in dieser Hinsicht tun wir viel zu wenig.

"Politisch Lied - ein garstig Lied" heißt es im "Faust". Natürlich - sie muß ja ein garstig Lied bleiben, solange nur jene Menschen sich damit befassen, die sich zu einem solchen machen, weil sie nur eigenen Vorteil oder eigene Macht suchen. Aber das einzige, was wir dagegen tun können, ist, daß wir uns selbst mit einsetzen, vorläufig durch unsere geistige, später durch aktive Teilnahme. Mit dem Schimpfen auf Staat, Demokratie und Regierung ist sicher nichts getan.

Vielleicht müssen wir da wirklich unser Gewissen erforschen und eine neue Haltung einnehmen. Auch dem Staat gegenüber, den wir allzu bequem nach dem gewöhnlichen Schema einfach als die Melkkuh einerseits und den Steuereintreiber andererseits ansehen. Wir selbst sind Staat, im Kleinen wie im Großen. Und wir selbst müssen die Demokratie mittragen - auch in Südtirol!

miles
pro dialog