Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Ex-Jugoslawien

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Sarajevo, Interkonfessioneller Friedensdialog

1.3.1993, Profil, Oktober 1993

  Rund fünfzig Menschen - darunter höchstens 5-6 Frauen - nippen in einem Hotel-Salon an dünnem Orangentrunk oder Raki und lassen sich bescheiden das eine oder andere süße Plätzchen vom livrierten Kellner reichen. Es wird viel geraucht, man konversiert intensiv, bald ist die Pause wieder zu Ende und man kehrt an seinen Platz am hufeisenförmigen Tisch zurück, um weiterzudiskutieren. Abends treten im großen Saal des "Holiday Inn", wo dies alles stattfindet, zwei Chöre und ein Sängerduo auf: ein islamischer Chor mit Mädchen und jungen Burschen in Moslemtracht singen arabische und türkische Lieder, der vornehm gekleidete und höchst zahlreich besetzte Chor eines katholischen Vereins trägt in lateinischer Sprache sein "Ave Maria" und sein "Ascendit" vielstimmig vor, das jüdische Duo singt hebräische Kultlieder. Ein wahrhaft ökumenisches Ereignis, denn im Hotel-Salon befinden sich unter anderen ein katholischer Kardinal und zwei Bischöfe, ein moslemischer Reis, Theologen verschiedener Bekenntnisse, Franziskaner, Imame, Klosterfrauen und Hadschis, wie man die Mekkapilger nennt.

  Nur: die Ökumene findet nicht irgendwo statt, sondern in Sarajevo, in einem teilweise zerschossenen Hotel, wo man mindestens alle zehn Minuten Maschinenpistolen knattern und mehrmals täglich und nächtlich Artilleriefeuer dröhnen hört. Durchschnittlich jeden Tag zwei Tote und ein Dutzend Verletzte. Am Sonntag, dem Abschlußtag des "Interkonfessionellen Treffens der Religionen für den Frieden", finden nicht nur feierliche Messen in der othodoxen Kirche und im katholischen Dom statt (am Freitag betete man in der Moschee und am Samstag in der Synagoge): ein italienischer Friedensdemonstrant der "Beati i costruttori di pace", der versucht hatte, über die Vrbenja-Brücke ins serbische Lager vorzustoßen, wird von einer Kugel tödlich getroffen.

  "Man darf nicht die Religionen mit den Verbrechen identifizieren, die vorgeblich in ihrem Namen begangen werden", mahnen im Konferenzzimmer Katholiken und Moslems, und beziehen sich auf die wütenden Kämpfe zwischen Kroaten und Bosniaken, die zeitgleich in der Gegend von Mostar und Zentralbosnien toben. Andere reden vom religiösen Begriff des Friedens und nehmen die Tradition der interkonfessionellen Beziehungen unter die Lupe. Bis dann - eher aus den hinteren Rängen - mehrere Teilnehmer drängen: "wir sollten solche Dialoge nicht nur hier im Stillen führen, sondern uns gemeinsam in Srebenica, in Banja Luka, in Tuzla und Gorazde zeigen - und vor allem in Mostar". In diese Richtung läuft auch die Anregung, die ich als geladener Gast den versammelten Religionsvertretern erläutern darf: "wäre nicht eine sorgfältig vorbereitete Rundreise einer hochrangigen interkonfessionellen Abordnung durch die Krisengebiete Ex-Jugoslawiens ein möglicher konkreter Beitrag zur Befriedung und Wiederversöhnung?"

 

  Zum interkonfessionellen Dialog hatte der Papst durch seinen Nuntius Monterisi ein dreiseitiges Sendschreiben übermittelt, in dem er vor allem den Patriotismus vom Nationalismus unterscheidet, und Kardinal Etchegaray als hochrangigen Gesprächsteilnehmer entsandt. Doch die illustren Vertreter der Religionsgemeinschaften und Kirchen wagen sich schließlich nicht allzu weit vor: "wir stehen ja erst am Anfang dieses ökumenischen Prozesses", meint der päpstliche Gesandte, "gemeinsame Aktionen wären verfrüht".

  Aber: wird genügend Zeit bleiben, um das zarte ökumenische Pflänzchen in so gemessener Art und Weise wachsen und vielleicht blühen zu lassen?

   Auf dem Balkan vollzieht sich derzeit so etwas wie ein tiefer geologischer Bruch zwischen Kulturen und Religionen: östliches und westliches Christentum bzw. Abendland, christliche und islamische Welt, habsburgische und ottomanische Tradition, slawische und nicht-slawische Kulturen prallen aufeinander, fühlen sich häufig benachteiligt oder gefährdet, kämpfen um ihr Terrain und meinen oft, nicht mehr friedlich miteinander auskommen zu können.

  Wäre es da nicht dringend geboten, das Außerordentliche zu versuchen, wo das Gewöhnliche nicht mehr hinreicht? Und wenn auch Glaubensverschiedenheiten höchstens der Vorwand und nicht der wirkliche Grund sind, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen - wäre es nicht doch höchste Zeit, Vorsicht und Bedenken beiseitezulassen, konfessionelle Empfindlichkeiten mutig zu überwinden und in allen Religionsgemeinschaften einer aktiven Friedensarbeit Vorrang zu geben?

  An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen - wenn nicht jetzt, wann sonst?

 

 

pro dialog