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Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung: Thesen zur politischen Durchsetzbarkeit der ökologischen Konversion

4.11.1989, Cusanus-Akademie, Brixen, 4.November 1989
Ökologische Konversion meint die heute höchst notwendige und dringend fällige Wende, die dem Selbstmord der Menschheit zuvorkommen und die Bewohnbarkeit unseres Planeten und das Zusammenleben all seiner Lebewesen sichern möchte.

1.
Ich verwende diesen Ausdruck lieber als Revolution, Reform oder Umbau, weil dieses Wort weniger vorbelastet ist und da auch eine Dimension der Reue, der Umkehr, der Bekehrung zur besseren Einsicht und der Wiedergutmachung des angerichteten Schadens mitschwingt und die persönliche Betroffenheit, die Notwendigkeit auch der persönlichen "Konversion" eher durchschimmert.
Es geht darum, ein durch unsere industrialistische, profitdominierte und expansive Zivilisation aus dem Lot geratenes Gleichgewicht wiederherzustellen, bzw. zu bewahren. Das ist heute ungemein wichtiger als etwa Wachstum und "Entwicklung" zu forcieren. Angesagt sind solidarische Umverteilung und globale Sicherung von Lebensmöglichkeiten (nicht nur von materiellen Gütern) und die Eröffnung echter Chancen autonomer Selbstentfaltung durch Abbau von Ungerechtigkeit, Abhängigkeit, Fremdbestimmung, Ausbeutung, durch Abrüstung und Entmilitarisierung, durch Abbau von Gewalt, von übermäßiger Konkurrenz, von Not, von Zerstörung.

2.

Das heißt heute in unserem Teil der Welt im wesentlichen Selbstbegrenzung (individuell und kollektiv, persönlich und gesellschaftlich). Das politische Problem ist: wie kann sich eine Politik der Selbstbegrenzung demokratisch durchsetzen (wo doch Demokratie sosehr konsensabhängig ist)? "Verzichtpolitik" und "Verzichtpolitiker" waren bisher Schimpfworte - ob sie nicht zu neuen Ehren kommen sollten?
Von demokratischer Politik der Selbstbegrenzung spreche ich deshalb, weil eine undemokratische - z.B. autoritäre oder dirigistische - nicht wünschbar ist und jedenfalls ein Schuß nach hinten wäre: am Schluß würde sie außerdem mehr kosten als sie bringt, und dies nicht nur an immateriellen Gütern wie Freiheit und Demokratie.

3.

So anspruchsvoll und vermessen dieses Ziel klingen mag - es gibt immerhin einige gute Zeichen in diese Richtung: man denke an eine gewisse Rüstungsbegrenzung, die nun einzusetzen scheint, oder an die sich verbreitende Einsicht, daß auch das konsumistische Wettrüsten in die Sackgasse führt.. Die Situation der ökologischen Gefährdung schafft eine neue Lage, in der "Egoismus" und "Altruismus" immer mehr zur Überschneidung tendieren: "niemand kann sich mehr allein retten" oder, mit anderen Worten, die globale Interdependenz ist Wirklichkeit geworden - und was bisher nur großherzige Bewegungen postulierten, wird immer mehr zum Gemeinverstand ("im wohlverstandenen Interesse") und läßt sich einleuchtend begründen. Da aber Profit- und Machtinteressen und kurzfristige Vorteile - nicht nur der oberen 10.000 - meistens den Blick verdecken und den Ausschlag geben, sind solche Einsichten nicht automatisch durchsetzbar (Sokrates irrte: es genügt nicht, die Tugend zu erkennen, um sie auch zu leben - alle wollen zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß).

4.

Also stellt sich die Frage nach der Durchsetzbarkeit solcher Einsichten, und da stehen ganz offenkundig langfristige gegen kurzfristige Ziele. Und: wie kann man es erreichen, daß an einer Entscheidung alle jene beteiligt sind, bzw. dabei berücksichtigt werden, die tatsächlich davon betroffen sind? (wir schließen ja systematisch alle jene aus, die letztlich die Kosten für unsere Fehlentscheidungen berappen müssen: die Armen, die Arbeitslosen, die Ausländer, die 3.Welt, die Natur, die Besiegten, die Kinder, die Alten, die Ungeborenen - von "2/3-Gesellschaft" zu reden ist der reinste Euphemismus, meistens sind wir allerbestenfalls eine 1/3-Gesellschaft, die regelmäßig 2/3 oder gar 3/3 der eigentlich Betroffenen ausschließt...)
Politik findet heute durch sehr kurzfristig verantwortete Entscheidungen statt, ist auf kurzfristige Ziele orientiert, erzeugt aber in nie gekanntem Ausmaß äußerst langfristige Auswirkungen.

5.

Das kann uns grundsätzlich auch niemand abnehmen: jeder entscheidet, im großen und im kleinen, immer auch für die Mitwelt, die Umwelt, die Nachwelt (Bäume pflanzen oder Wälder abholzen, Häuser bauen, Hügel abtragen, Kinder zeugen, Atomkraftwerke oder Straßenbauten zulassen bzw. verhindern, ...) Das Problem ist vielmehr, eine möglichst hohe Umwelt-, Mitwelt- und Nachweltverträglichkeit unserer Entscheidungen zu erreichen.
Ebendies fordert eine Politik der Selbstbegrenzung und des Ausgleichs - Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Biosphäre (der Schöpfung) kann eine gute Synthese dieses Ziels ausdrücken.
Ökologische Konversion kann nicht nur durch Politik angestrebt und - hoffentlich - herbeigeführt, bzw. gefödert oder aber verhindert werden, doch kann Politik einen großen Einfluß darauf ausüben, umsomehr, als immer mehr Entscheidungen in der politischen Sphäre getroffen, bzw. vorbereitet, verhandelt oder beeinflußt werden. Wesentlich größeren Einfluß können ethische und gewiß auch religiöse Motivationen ausüben.

6.

Die enorme Kluft zwischen diesen Anliegen und der akuten Gefährdung der Menschheit und der Biosphäre durch ein absolutes Übermaß an Rüstung und kriegerischer Gewalt, durch schreiende soziale Ungerechtigkeit und massenhaftes Elend und durch Unweltverschmutzung und -Zerstörung könnte mutlos machen und jegliche Anstrengung zur ökologischen Konversion von vorneherein aussichtslos erscheinen lassen. Der Rhythmus des Abbaues verläuft heute ungleich schneller als jener des Aufbaues und der Wiederherstellung verträglicher Gleichgewichte, und wenn heute weltweit an einem Tag mehr fossile Brennstoffe verheizt werden, als sich in 1000 Jahren gebildet haben, mag dies ein realistisches und vielleicht nicht bloß materiell gültiges Bild unserer Situation ergeben. Es handelt sich also auch um einen Wettlauf mit der Zeit.
Angesichts dieser Lage besteht die Gefahr (nicht nur grüne Bewegungen verfallen ihr - auch Kirchen, Gewerkschaften, Akademien, Parteien..), sich entweder bloß auf abstrakten Moralismus und ethische Appelle zu konzentrieren (man erinnere sich beispielsweise an Pertini/Abrüstung, oder an Papst/Atomkraft), oder aber sich mit einer verkürzten administrativen und technokratischen Umsetzung der Ökologie zu begnügen: mehr Filter und Kläranlagen, weniger Phosphate in den Waschmitteln und weniger Chemie in der Landwirtschaft, strengere Grenzwerte gegen Verschmutzung und Vergiftung, Schließung der Atomkraftwerke, Einführung der Ökosteuer, Katalysatorzwang für PKWs, Plastikverbot.. usw., ohne die expansionistische und profitorientierte Wachstumsspirale (schneller, höher, größer, mehr) und die von ihr geprägte Kultur und Mentalität in Frage zu stellen.

7.

Demgegenüber möchte ich, als bescheidenen Beitrag zu einer Überlegung über die politische Durchsetzbarkeit der Anliegen der ökologischen Konversion (Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Biosphäre) drei Forderungen und drei Umsetzungshilfen vorschlagen, wobei ich mir bewußt bin, daß es sich um Vorschläge handelt, die gegen den Strom der ökonomischen und politischen Selbstverständlichkeiten anzukämpfen haben.

I.
Politische und ökonomische Entscheidungen und alles, was von ihnen abhängt (planen, bauen, steuern, regeln, investieren...) müssen langfristig statt kurzfristig angelegt sein; die Umwelt-, Mitwelt- und Nachweltverträglichkeit muß wesentlich berücksichtigt werden. Alle Entscheidungen, die sich darüber hinwegsetzen, müssen als gefährlich, unverantwortlich und illegitim gebrandmarkt werden.

II.
Es muß auf alle Betroffenen - auch auf das betroffene Ökosystem und auf die Nachwelt - Rücksicht genommen werden, alle müssen sie, soweit das überhaupt möglich ist, auch an den Entscheidungen mitwirken. Wo das unmöglich ist, müssen andere Werkzeuge gefunden werden, um nichtberücksichtigte, aber betroffene Subjekte in Entscheidungsprozessen nicht zu übergehen. Dazu werden neue Grundsätze (z.B. "Charta der Rechte der Umwelt", "der Nachwelt"...) und neue Mitspracherechte (z.B. der Dritten Welt) entwickelt werden müssen. Die demokratischen Vertretungsgremien werden Maßstäbe für eine Selbstbegrenzung der Tragweite ihrer Entscheidungen in der Auswirkung auf die Umwelt, die Mitwelt und die Nachwelt entwickeln müssen (darunter möglicherweise auch qualifizierte Mehrheiten, Vetorechte, absolute Zugriffsverbote, usw.), wenn Demokratie nicht unglaubwürdig und rein konjunkturabhängig werden soll.
Ein höchst vernetztes und höchst verletzliches Ökosystem erfordert auch im höchsten Maß vernetzte und selbstbegrenzte Entscheidungen.

III.
Bisher wurden die Kosten für die Entscheidungen und Maßnahmen der industrialisierten und hoch"entwickelten" Welt (die als regelrechte Zechprellerin gehandelt hat) zum allergrößten Teil anderen aufgebürdet, denen die Vorteile aus jenen Maßnahmen und Entscheidungen vorenthalten blieben: den sozial Fernen (den Armen und den sozial Schwächeren), den geographisch Fernen (der Dritten Welt und den armen Völkern), den zeitlich Fernen (den nachkommenden Generationen). Siehe Müllproblem, Raubbau der Rohstoffe und Naturschätze, Abholzung der Tropenwälder,..
Es ist höchste Zeit, daß die industrialisierte Welt beginnt, ihre Schulden zu zahlen und vor allem nicht mehr auf Kredit (bei der Biosphäre und bei den Armen) zu leben. Eine wahrhaftige Ökobilanz ist fällig, und auf deren Ausgleich wird wesentlich peinlicher zu achten sein, als auf jenen der Außenhandels- oder Staatsbilanzen. Die unbezahlten Öko-Schulden haben nämlich u.a. eine noch stärkere Boomerang-Wirkung als die unbezahlten Finanz- oder Sozialschulden.


Wer soll dies aber umsetzen, wie können solche Grundsätze "politikfähig" und politikwirksam werden? Denn daß die derzeitigen politischen Systeme wenig für langfristig angelegte und selbstbegrenzte Entscheidungen, für die Berücksichtigung aller Betroffenen und für die Bezahlung unserer offenen Rechnungen übrighaben, liegt doch auf der Hand.

Wunderrezept gibt es sicher keines, aber wenn sich erst einmal die Einsicht in diese Problemlage bessert und verbreitet, lassen sich vielleicht auch wirksamere Antworten entwickeln.
Inzwischen möchte ich drei bescheidene Ansätze hervorheben.

a)
Ganz wesentlich scheint mir die Rolle der Bürgerinitiativen, der freiwilligen Vereinigungen, der Umweltgruppen, der Ökologiebewegung im breiten Sinne, verstanden als Solidaritätsbewegung mit der Umwelt, der Mitwelt und der Nachwelt. Gerade da unser ganzes System auf Kosten und zu Lasten der Ausgeschlossenen funktioniert, braucht es innerhalb des hochgerüsteten, wohlgemästeten und dickgepolsterten Festungsvierecks der Industriegesellschaften Kräfte, die ihre Stimme auch im Namen der Ausgeschlossenen und Nichtberücksichtigen erheben und deren Ansprüchen auf vielfältige Art Gehör verschaffen - nicht zuletzt durch (negative und positive) Boykott-Aktionen, Bürgerproteste, Widerstand, ökologischen Umbau, Beharren auf Menschenrechten, Verweigerung der Mitarbeit und der Finanzierung gegenüber zerstörerischer und lebensfeindlicher Politik und Ökonomie (z.B.Steuerverweigerung), usw.
Möglicherweise sind die heute vorhandenen Bürgerinitiativen noch gar nicht radikal genug und haben oft mehr den Charakter von "Ein-Punkt-Bewegungen" als jenen einer richtiggehenden und umfassenden "Rettungsbewegung", wie sie eigentlich noltwendig wäre. Gerade deshalb kann man ethisch betonte Ansätze und Gruppen nicht hoch genug einschätzen.
Da solche Bewegungen nicht unmittelbar von Wahlinteressen gesteuert sind und deswegen auch weniger unter Konsenszwang durch kurzsichtige Bedarfsdeckung stehen, kann ihre Rolle als "Gewissensorgane" gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. (Ein bißchen mehr Ermutigung vonseiten der Kirchen oder - warum nicht? - auch der Gewerkschaften und sonstiger Träger solidarischer Einstellung täte ihnen manchmal nicht schlecht.)

b)
Positiv scheint mir auch, daß - besonders durch das Auftreten einer politisierten Ökologiebewegung (der Grünen, in den verschiedensten Ländern) - nun die Umweltanliegen zu einem unleugbar vorrangigen Thema und auch zum Gegenstand politischer Konkurrenz geworden sind: in der liberalen Demokratie funktionieren die Dinge nun einmal wie im Handel: Nachfrage und Konkurrenz beleben das Geschäft, und wenn in einem neuen Laden eine neue Ware angeboten wird, die bisher nicht auf Lager war, müssen alle schleunigst ihre Bestände auffüllen und die Lücken im Angebot schließen. Man braucht dabei gar nicht soweit zu gehen wie der (anglikanische) Erzbischof von Canterbury, der die Grünen im letzten September gar als "Partei Gottes" begrüßte, doch dürfte es unbestritten sein, daß sich - aufgrund des objektiven Umweltnotstands und durch das Auftreten grüner politischer Bewegung - ein Zugzwang zur Ökologie ergeben hat. Ob die grünen politischen Bewegungen das halten können, was sie sich vorgenommen haben, ist noch durchaus ungewiß, doch gerade deshalb darf man nicht einfach untätig zusehen und warten, bis die "grüne Welle" wieder von selber abebbt. Im Gegenteil: der Zugzwang muß durch den Druck der öffentlichen Meinung und ihrer qualifizierten Vertreter (auch im christlichen und kirchlichen Bereich) noch verstärkt werden, konkrete Maßnahmen müssen eingeklagt werden.

c)
Ein letzter Punkt betrifft die Notwendigkeit immer engerer Verknüpfung zwischen lokaler und globaler Sichtweise und Aktion. Je globaler alle Probleme miteinander vernetzt und verknüpft sind, desto größer könnte die Versuchung werden, sich einfach irgendwelchen höheren Gewalten und Behörden anzuvertrauen, da man sich keinen Überblick mehr verschaffen kann oder zutraut und fürchtet, daß man sowieso nichts ausrichten kann. Demgegenüber muß mehr denn je betont werden, daß eine ökologische Wende hin zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Biosphäre nur denkbar ist, wenn alle Menschen dort, wo sie leben, sich als unbeugsame "Eingeborene" verhalten, die - natürlich mit Blick aufs Ganze, aber eben mit ihrer ganz spezifischen Verwurzelung und Verantwortung im lokalen Bereich - in ihrer Dimension das tun und fordern, was als allgemeine Forderung definiert wurde: langfristige statt kurzfristige Anliegen wahrnehmen, alle Betroffenen berücksichtigen, über den Ausgleich der Ökobilanz wachen.
Lokal läßt sich das noch einigermaßen tun - und man kann nur hoffen, daß es auch viele andere in ihrem lokalen Bereich ebenso üben, und sich gegenseitig ermutigen, vernetzen, absprechen und koordinieren.
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